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Immunthrombozytopenie (ITP)

ICD-10 D69.3
Stand August 2024
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1Zusammenfassung

Die Immunthrombozytopenie (ITP) ist eine erworbene Thrombozytopenie, verursacht durch eine Autoimmunreaktion gegen Thrombozyten und Megakaryozyten. Unterschieden wird eine primäre Form, bei der keine auslösende Ursache erkennbar ist, von sekundären Formen, induziert z. B. im Rahmen von Autoimmunerkrankungen oder Lymphomen. Ca. 80% der ITP-Erkrankungen sind primär, 20% sekundär. Im Kindesalter ist die sekundäre ITP wesentlich seltener.

Die Therapieindikation ist nicht allein von der Blutungsneigung und der Thrombozytenzahl abhängig, sondern auch von Krankheitsstadium, Krankheitsverlauf und weiteren individuellen Faktoren. Zur Erstlinientherapie werden bei Erwachsenen Kortikosteroide eingesetzt. Für die zweite und folgende Therapielinien stehen sehr unterschiedliche Therapieverfahren wie Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten (TRAs), Immunsuppressiva, Rituximab (off label), die Splenektomie und (in Deutschland) der SYK (Spleen Tyrosine Kinase)-Inhibitor Fostamatinib zur Verfügung. Weitere Therapien sind in fortgeschrittenen Stadien der Entwicklung.

Die pädiatrische ITP unterscheidet sich in Verlauf und Prognose von der ITP des Erwachsenenalters. Je jünger das Kind ist, desto eher findet sich ein akutes Auftreten der Blutungsneigung, häufig nach einem Infekt. Die chronische ITP ist seltener als bei Erwachsenen. Bei der neu diagnostizierten ITP im Kindes- und Jugendalter ohne oder mit nur milden Blutungen ist eine medikamentöse Therapie in der Regel verzichtbar.

Die ITP ist eine seltene Erkrankung. Die Betreuung gehört in die Hand von Spezialisten.

Der Schwerpunkt dieser Leitlinie ist die ITP des Erwachsenen. Für Kinder existieren spezifische Empfehlungen; siehe Kapitel 6.1.3.2 und 6.1.4.5. Eine Aktualisierung der aktuellen AMWF Leitlinie Pädiatrische ITP ist in Planung [9].

2Einleitung und Grundlagen

2.1Definition und Basisinformation

Ein im deutschsprachigen Raum weit verbreitetes Eponym für die ITP ist der Begriff Morbus Werlhof. Er geht auf Paul Gottlieb Werlhof (1699-1767) zurück. Werlhof war Arzt in Hannover und berichtete 1735 über ein 16jähriges Mädchen, das nach einer Infektion Blutungen der Haut und Schleimhäute entwickelte (Morbus maculosus haemorrhagicus)

Das Akronym ITP steht für Immunthrombozytopenie. Der ältere Begriff Idiopathische Thrombozytopenische Purpura sollte nicht mehr benutzt werden. Eine ITP sollte nur diagnostiziert werden, wenn die Thrombozytenzahl wiederholt unter 100 x 109/L liegt.

Zur Einteilung der Thrombozytopenien siehe Tabelle 1 sowie Onkopedia Thrombozytopenie. Bei der ITP unterscheidet man eine primäre Form, bei der keine auslösende Ursache erkennbar ist, von sekundären Formen, bei denen die Immunthrombozytopenie z.B. durch systemische Autoimmunerkrankungen oder Lymphome angestoßen wird.

Tabelle 1: Einteilung der Thrombozytopenien 

 1. Verminderte Thrombozytenbildung

 2. Vermehrter Thrombozytenverbrauch

  • Schädigung des Knochenmarks (Medikamente, Alkohol, Zytostatika, u.a.)

  • Infiltration und Verdrängung des Knochenmarks (hämatologische Neoplasien, seltener solide Tumoren)

  • Myelofibrose

  • Myelodysplastische Syndrome

  • Knochenmarkshypo-/aplasie, Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie

  • Wiskott-Aldrich-Syndrom (auch vermehrter Verbrauch)

  • Schwerer Vitamin- oder Eisenmangel

  • Seltene erbliche Thrombozytopenien

  • auch bei der ITP kann die Thrombozytenbildung im Knochenmark gestört sein

Primäre Immunthrombozytopenie

  • Keine auslösende Ursache erkennbar

 

Sekundäre Immunthrombozytopenie

  • Medikamentös induzierte Immunreaktion

  • bei Autoimmunerkrankungen

  • bei Antiphospholipid-Syndrom

  • bei Immundefizienz-Syndromen (variables Immundefektsyndrom (engl. Common Variable Immunodeficiency), Autoimmun Lymphoproliferatives Syndrom (Canale-Smith-Syndrom), Wiskott-Aldrich-Syndrom (WAS auch gestörte Bildung)

  • Evans-Syndrom (u.a. bei Lymphomerkrankungen z.B. CLL)

  • bei Hepatitis, HIV, u.a. viralen Infektionen

  • nach Impfungen

 

Weitere immunologische Thrombozytopenien (nicht ITP)

  • Heparin-induzierte Thrombozytopenie

  • Vakzin-induzierte immunthrombotische Thrombopenie (VITT)

  • Thrombozytopenie nach GP IIb/IIIa-Inhibitor-Gabe

  • Posttransfusionelle Purpura

  • Schwangerschafts-assoziierte Thrombozytopenie

  • Neonatale Alloimmunthrombozytopenie

 

Weitere Verbrauchs-Thrombozytopenien (nicht immunologisch)

  • Mikroangiopathische Hämolytische Anämien (TTP, HUS).

  • Verbrauchskoagulopathie

  • Von Willebrand Syndrom Typ 2b

  • Massive Lungenembolie

  • Große Hämangioendotheliome (z.B. Kasabach Merritt Syndrom)

 3. Andere Thrombozytopenien

  • Thrombozytopenie bei Milzvergrößerung

  • Thrombozytopenie bei Lebererkrankungen

  • Thrombozytenverlust bei massiver Blutung

  • Thrombozytopenie bei Infektionen

 4. Probleme der Laboranalytik

  • Pseudothrombozytopenie (syn.: EDTA-Thrombozytopenie)

2.2Epidemiologie

Bei Erwachsenen liegt die ITP-Inzidenz zwischen 0,2 - 0,4 Neuerkrankungen pro 10.000/Jahr und die Prävalenz bei 0,9 - 2,6 pro 10.000. Die ITP gehört damit zu den „Orphan diseases“.

Das mittlere Alter erwachsener ITP-Patientinnen und Patienten (Pat.) wurde früher mit 50 bis 55 Jahren angegeben. In den letzten Jahren scheint es jedoch einen Trend zu einem höheren mittleren Erkrankungsalter zu geben (um die 60 Jahre). Im mittleren Alter erkranken häufiger Frauen. Ab dem 60. Lebensjahr überwiegen dann wieder die Männer [1].

Bei Kindern und Jugendlichen beträgt die ITP-Inzidenz 0,2 - 0,7 Neuerkrankungen pro 10.000/Jahr und die Prävalenz 0,4 - 0,5 pro 10.000. Die Prävalenz ist bei Kindern deutlich geringer als bei Erwachsenen, weil die pädiatrische ITP nur selten chronisch wird, siehe Kapitel 5.4. Jungen scheinen häufiger als Mädchen betroffen zu sein.

Sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen scheint es saisonale Schwankungen zu geben mit einem gehäuften Auftreten von ITP Neuerkrankungen im Frühling [2].

2.3Pathogenese

Die ITP ist nicht erblich, sie ist eine erworbene Thrombozytopenie. Ursächlich ist eine Autoimmunreaktion gegen Thrombozyten und Megakaryozyten. Die Immunreaktion wird von unterschiedlichen pathogenetischen Mechanismen getragen, siehe Tabelle 2 [3].

Tabelle 2: Pathomechanismen der ITP 

Autoantikörper gegen Thrombozyten

  • induzieren die Bindung von Thrombozyten an Fc-Rezeptoren und einen vermehrten Abbau in Milz und Leber,

  • induzieren durch den Abbau von Sialinsäure-Resten an Glykoproteinen der Thrombozytenoberfläche. eine Thrombozyten-Seneszenz. Die sog. „desialylierten“ Thrombozyten werden in der Leber an den Ashwell-Morell Rezeptor gebunden und abgebaut.

  • induzieren eine komplement-vermittelte Schädigung der Thrombozyten,

  • binden an Thrombozytenoberflächenrezeptoren (GP IIb/IIIa u.a.) und behindern deren Funktion.

T und B-Lymphozyten

  • Verminderung von regulatorischen T- und B-Zellen

  • direkte Schädigung von Thrombozyten durch autoreaktive T-Lymphozyten.

Hemmung der Thrombozytopoese

  • Schädigung der Megakaryozyten durch Autoantikörper,

  • verstärkter Abbau von Thrombopoetin,

  • verminderte Thrombopoetinbildung.

3[Kapitel nicht relevant]

4Klinisches Bild

Typische Blutungssymptome sind Petechien und Schleimhautblutungen. Viele ITP-Pat. klagen zusätzlich zur Blutungsneigung über Erschöpfungssymptome, Müdigkeit („Fatigue“), bis hin zu depressiven Störungen, siehe Kapitel 6.2.8 Lebensqualität und Fatigue.

4.1Blutungssymptome

Typische Blutungssymptome sind

  • Petechien an den Beinen, weniger häufig an Rumpf und Armen,

  • Blutungen der Schleimhäute von Mund und Nase,

  • urogenitale Blutungen, verstärkte Menstruationsblutungen,

  • verstärkte Blutungen und Hämatomneigung bei kleinen Traumata

  • selten innere Blutungen, z.B. intrazerebrale Blutung (<1-2%).

Petechien sind typischerweise nicht palpabel. Eine palpable Purpura spricht eher für eine vaskulitische Ursache. Ebenfalls untypisch für die ITP sind flächenhafte Hämatome und Gelenkblutungen, diese findet man eher bei plasmatischen Gerinnungsstörungen, z.B. Hämophilie.

Bei der neu-diagnostizierten ITP haben 10% aller pädiatrischen und 20-30% aller erwachsenen Pat. keine Blutungssymptome. Bei der chronischen ITP liegt der Anteil der Pat. ohne Blutungssymptome bei 30-40%.

Die Blutungsneigung bei ITP-Pat. ist geringer als bei Pat. mit einer vergleichbaren Thrombozytopenie anderer Ursache, z.B. nach Chemotherapie oder bei Myelodysplasien, Leukämien.

Ein nicht geringer Anteil von ITP-Pat. hat asymptomatische, okkulte Blutungen. Zerebrale Mikroblutungen wurden bei Pat. mit chronischer ITP ab einer Thrombozytenzahl von unter 15 x 109/L nachgewiesen und traten bei längerer ITP-Dauer hochsignifikant häufiger auf [4].

4.2Weitere Symptome

ITP-Pat. haben durch immunsuppressive Therapien oder Splenektomie ein erhöhtes Infektionsrisiko [5].

Als Folge verstärkten Blutverlustes kann sich eine Eisenmangelanämie entwickeln. Eltrombopag ist ein Eisen-Chelator und kann bei pädiatrischen ITP-Pat. zu einem Eisenmangel führen, siehe Kapitel 6.1.4.5

Viele ITP-Pat. klagen zusätzlich zur Blutungsneigung über Erschöpfungssymptome, Müdigkeit („Fatigue“), bis hin zu depressiven Störungen. Auch ein Zusammenhang zwischen ITP und kognitiven Funktionseinschränkungen wird beschrieben, siehe Kapitel 6.2.8

Etwa 8% der Pat. mit einem Variablen Immundefektsyndrom (engl. Common Variable Immunodeficiency; CVID) leiden neben rezidivierenden Infekten auch an einer ITP. Gelegentlich wird die ITP vor der CVID diagnostiziert [6].

Anmerkung: die Behandlung einer CVID orientiert sich an der aktuellen S3 Leitlinie Therapie primärer Antikörpermangelerkrankungen (https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/189-001)

5Diagnose

5.1Diagnose-Kriterien

Die ITP ist eine Ausschlussdiagnose. Es gibt keinen Labortest und keine Untersuchung, die eine ITP „beweist“. International akzeptierte Kriterien für das Vorliegen einer ITP sind [7].

  • Wiederholte Thrombozytopenie < 100 x 109/L

  • Keine andere Ursache der Thrombozytopenie erkennbar

  • Normale Werte und normale Morphologie für Leukozyten und Erythrozyten (ausgenommen Eisenmangelanämie)

  • Für die niedrige Thrombozytenzahl geringe Blutungsneigung (vor allem bei chronischer ITP)

  • Nach Gabe von Glukokortikoiden oder intravenösen Immunglobulinen (IVIG) Verdopplung der Thrombozytenzahl vom Ausgangswert, mindestens Anstieg > 30 x 109/L

5.2Diagnostik

5.2.1Initiale Basisdiagnostik bei Verdacht auf ITP

Die Diagnostik erfolgt in der Regel in mehreren Schritten, siehe Tabelle 3 und Tabelle 4.

Tabelle 3: Basisdiagnostik bei Erstvorstellung und zunächst nur klinischem Verdacht auf ITP 

Diagnostik

Anmerkungen

Anamnese

aktuelle und frühere Blutungen, Infektionen, Medikamente (Gerinnungshemmer!), Impfungen, Alkohol, Schwangerschaft, frühere Thrombosen, Familienanamnese, Berufsanamnese

Körperliche Untersuchung

Blutungszeichen insbes. auch der Schleimhäute, Lymphknoten-, Leber‑, Milzgröße (eine Splenomegalie ist nicht typisch bei ITP), Exantheme, etc.

Blutbild

EDTA und Citrat zum Ausschluss einer Pseudothrombozytopenie; bei Aggregaten im Citratblut Verwendung von Spezialmonovetten (ThromboExact)

Blutausstrich (immer!)

Begutachtung durch einen in der Diagnostik von hämatologischen Erkrankungen erfahrenen Untersucher; auch zum Ausschluss einer seltenen angeborenen Thrombozytopenie

Gerinnungsparameter

Thromboplastinzeit (Quick-Wert), INR, aPTT, Fibrinogen

Knochenmarkdiagnostik

Immer bei atypischen Befunden, siehe Tabelle 6

Auch ohne atypische Befunde bei älteren Pat. (≥ 60 Jahre) und allen Pat. mit inadäquatem Therapieansprechen empfohlen.

Weiteres

Blutgruppenbestimmung inkl. Antikörpersuchtest insbesondere bei gleichzeitiger Anämie (Ausschluss Evans-Syndrom),

Blutzucker / Urinzucker zum Ausschluss eines subklinischen Diabetes mellitus vor evtl. Kortikosteroidtherapie

IgG (IgA, IgM) zum Ausschluss einer CVID (siehe auch Kapitel 4.2 und Tabelle 4)

Zur Erstdiagnostik nicht nur der ITP, sondern grundsätzlich jeder Thrombozytopenie, gehört zwingend die Begutachtung des Blutausstriches durch einen in der Diagnostik von hämatologischen Erkrankungen erfahrenen Begutachter. Die Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP) ist eine wichtige Differenzialdiagnose.

5.2.2Weiterführende Diagnostik bei persistierender oder chronischer ITP

Bei persistierender oder chronischer ITP müssen weitere Differenzialdiagnosen erwogen werden, siehe Tabelle 4.

Tabelle 4: Weiterführende Diagnostik 

Diagnostik

Begründung, Konsequenz

Blutgruppentestung

Für Notfall-Pass, vor operativen Eingriffen mit hohem Blutungsrisiko.

Knochenmarkpunktion

siehe Tabelle 6

Serum-Elektrophorese und Serum-Immunglobuline

Ausschluss von Immundefekt-Syndromen (z.B. Common Variable Immunodeficiency), eines Myeloms.

Autoimmundiagnostik (CCP-Antikörper, ANA, ANCA, anti-DS-DNA, Antiphospholipid-AK, Lupus Antikoagulans)

Ausschluss einer sekundären ITP im Rahmen anderer Auto-Immunerkrankungen.

Thrombozytenglykoprotein-spezifische Autoantikörper

Bei Pat. mit persistierender Thrombozytopenie, wenn Zweifel an der Diagnose ITP bestehen (nur hilfreich, wenn positiv).

von Willebrand-Diagnostik

Bei von Willebrand Syndrom Typ 2b können mäßige bis schwere Thrombozytopenien auftreten.

Schilddrüsendiagnostik

Bis zu 10% der ITP-Pat. haben Hinweise auf eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse

H. pylori-Testung

siehe Kapitel 5.2.2.3

Hepatitis B, C, HIV-Serologie

Falls positiv, Erkrankungs- bzw. Reaktivierungs-Risiko im Falle einer immunsuppressiven Therapie oder vor Splenektomie

Sonographie, Röntgen, CT erwägen

Ausschluss solider Tumor, Lymphom u.a. hämatologische Erkrankung. Bei vergrößerter Milz an M. Gaucher denken.

Der Nachweis von ANA, Antiphospholipid-Antikörpern und Lupus Antikoagulans ist von prognostischer Relevanz, weil bei diesen Pat. Thrombosen häufiger auftreten, siehe Kapitel 6.2.7. Dies sollte ggf. bei der Wahl der Zweitlinientherapie mitberücksichtigt werden, siehe Kapitel 6.1.4.2.

Bei einigen Pat. zeigt die Sonographie eine vergrößerte Milz. Dann muss neben Erkrankungen der Leber und Lymphomen auch an die seltene Differenzialdiagnose einer Stoffwechselerkrankung, z.B. eines M. Gaucher oder eines M. Niemann-Pick Typ B gedacht werden. Diese Erkrankungen können sich z.T. auch erst im Erwachsenenalter manifestieren.

5.2.2.1Untersuchung auf Thrombozyten-Autoantikörper*

*(Übersicht bei [8])

Der Nachweis von Thrombozyten-Autoantikörpern vom Typ IgG gehört nicht zur Routine-Diagnostik der neu-diagnostizierten ITP, sondern sollte Pat. mit persistierender bzw. chronischer ITP oder atypischem Krankheitsverlauf vorbehalten bleiben.

Die IgG-Autoantikörper bei ITP sind spezifisch gegen einzelne Glykoproteine auf dem Thrombozyten gerichtet (z.B. IIb/IIIa und Ib/IX) und führen zur Phagozytose in Milz und Leber. Der direkte glykoproteinspezifische Test aus EDTA-Blut (z.B. MAIPA = Monoclonal Antibody Immobilisation of Platelet Antigen) hat eine Spezifität von ca. 98%. Ein positives Resultat kann beitragen, die Diagnose ITP zu sichern, bzw. andere Differenzialdiagnosen auszuschließen, siehe Tabelle 5. Falsch positive Tests kommen selten bei myelodysplastischen Syndromen und Lymphomen vor.

Ein negatives Resultat im glykoproteinspezifischen Test ist nur von geringer Bedeutung und schließt die ITP nicht aus. Die Sensitivität der Methode liegt lediglich bei ca. 63%. Ein häufiger Fehler, der zu einem falsch negativen Test führen kann, ist die Einsendung einer zu geringen Probenmenge bei Pat. mit sehr niedrigen Thrombozytenzahlen.

Nur Autoantikörper gegen Glykoproteinrezeptor-Antigene unterstützen die Diagnose einer primären oder sekundären ITP. Antikörper gegen HLA-Antigene auf Thrombozyten sind im klinischen Alltag viel häufiger (z.B. nach Thrombozytentransfusion) und sind nicht mit der ITP assoziiert.

Tabelle 5: Indikation für Untersuchung auf Thrombozytenautoantikörper 

Minimale oder völlig fehlende Ansprache auf Kortikosteroide oder IVIG

Differenzialdiagnose ITP vs. medikamentös-toxische Knochenmarkschädigung (z.B. bei chron. Alkohol-Abusus).

Differenzialdiagnose ITP vs. hereditäre Thrombozytopenie

Differenzialdiagnose ITP vs. Thrombozytopenie bei Lebererkrankungen, Splenomegalie

Bei Schwangeren Differenzialdiagnose ITP vs. Gestationsthrombozytopenie bei Thrombozytenwerten im „Graubereich“ zwischen 50 x 109/L bis 100 x 109/L (siehe Kapitel 6.2.5 Schwangerschaft)

5.2.2.2Knochenmarkpunktion

Die ITP-Diagnose kann durch eine Knochenmarkpunktion nicht belegt werden. Das Ziel der Knochenmarkpunktion ist es, alternative Diagnosen auszuschließen. Bei typischen klinischen Befunden kann eine Knochenmarkpunktion in der Regel entfallen.

Bei über 60jährigen ist die Indikation zur Knochenmarkpunktion großzügig zu stellen, da Myelodysplastische Syndrome, idiopathische Zytopenien unbestimmter Signifikanz (ICUS) oder andere hämatologische Erkrankungen in dieser Altersgruppe häufiger auftreten.

Eine Anhebung der Thrombozytenzahl vor der Punktion ist in der Regel nicht notwendig.

Tabelle 6: Indikation zur Knochenmarkpunktion 

Neben der Thrombozytenzahl sind auch andere Laborwerte, insbesondere Leukozyten- und/oder Erythrozyten-Parameter verändert.

Anamnese (z.B. B-Symptome, Gewichtsverlust) und körperliche Untersuchungsbefunde (z.B. vergrößerte Lymphknoten, Hepatosplenomegalie), die nicht typisch für eine ITP sind.

Pat. ≥ 60 Jahre wegen der zunehmenden Häufigkeit alternativer hämatologischer Diagnosen

Vor Splenektomie, um zuvor alternative Diagnosen mit größter Sicherheit auszuschließen.

Pat. die auf die Standardtherapien gar nicht oder nur sehr kurz ansprechen

5.2.2.3Helicobacter pylori

Alle erwachsenen Pat. mit ITP, insbesondere bei persistierendem oder chronischem Verlauf, sollen auf H. pylori untersucht (z.B. durch Bestimmung des Antigens im Stuhl oder Durchführung eines 13C- Atemtests) und bei positivem Nachweis eradiziert werden.

5.3Klassifikation

Die Klassifikation der ITP erfolgt nach Schweregrad und Verlauf.

5.3.1Schweregrad

Die Behandlung der ITP orientiert sich wesentlich an der klinischen Blutungsneigung. Zur Einschätzung der Blutungsschwere existieren zahlreiche Blutungs-Scores. Sie werden regelmäßig im Rahmen wissenschaftlicher Studien eingesetzt. Der Nachteil dieser Scores ist der hohe Zeitaufwand, der ihre Anwendung im Alltag begrenzt. Bei Erwachsenen ist eine Orientierung an den WHO Blutungsgraden am häufigsten, siehe Tabelle 7.

Für pädiatrische Pat. wird in der aktuellen AWMF-Leitlinie [9] der modifizierte Buchanan Score empfohlen, siehe Tabelle 8.

Im Jahr 2021 wurde von der ISTH eine Standarddefinition für sog. kritische Blutungen bei ITP vorgeschlagen [10]. Kritische Blutungen sind demnach:

  • in folgenden anatomische Strukturen lokalisiert: intrakraniell, intraspinal, intraokulär, retroperitoneal, perikardial oder intramuskulär mit drohendem Kompartment

  • oder führen zu einer hämodynamischen oder respiratorischen Instabilität

Tabelle 7: Blutungsgrade entsprechend WHO und NCI Common Terminology Criteria for Adverse Events (CTCAE v5.0) 

WHO Blutungsgrad

Definition

WHO Blutungsgrade

Definition

0

keine Blutungszeichen

I

Petechien

kleine Hämatome, Ekchymosen (< 10 cm)

Schleimhautblutungen (Mund, Nase)

Epistaxis (< 1 Std. Dauer, keine ärztliche Intervention notwendig)

subkonjunktivale Blutungen

vaginale Blutungen (unabhängig von Menstruation, nicht mehr als 2 Binden / Tag notwendig)

II

(nicht

transfusionspflichtig)

Hämatome, Ekchymosen (> 10 cm)

Epistaxis (> 1 Std. Dauer oder Tamponade notwendig)

retinale Blutungen ohne Visusverminderung

vaginale Blutungen (unabhängig von Menstruation, mehr als 2 Binden / Tag notwendig)

Melaena, Hämatemesis, Hämoptysen, Hämaturie, Hämatochezie

Blutungen aus Punktionsstellen

Blutungen in Muskel und Gelenke

III

(transfusionspflichtig)

Epistaxis

Schleimhautblutungen (Mund, Nase)

vaginale Blutungen

Melaena, Hämatemesis, Hämoptysen, Hämaturie, Hämatochezie

Blutungen aus Punktionsstellen

Blutungen in Muskel und Gelenke

IV

(Gefahr von Dauerschäden, lebensbedrohlich)

retinale Blutungen mit Visusverminderung

ZNS Blutungen

andere Organblutungen, die die Funktion der betroffenen Organe (Gelenke, Muskulatur, Niere, Lunge, etc.) gefährden

letale Blutungen (in den NCI CTCAE als Blutungsgrad V bezeichnet)

.

Tabelle 8: modifizierter Buchanan Score für pädiatrische ITP-Pat. 

Grad

Blutungszeichen

0

Keine

Keine frischen Blutungszeichen

1

Geringfügig

Wenige Petechien (<100) und /oder < 5 kleine Hämatome

(<3cm Durchmesser).

Keine Schleimhautblutungen

2

Mild

Viele Petechien und >5 große Hämatome

(Durchmesser >3cm)

3a

Moderat

niedriges Risiko

Mundschleimhautblutungen, Blutkrusten in den Nasenlöchern, milde Epistaxis, Dauer <5min

3b

Moderat

hohes Risiko

Epistaxis >5 min, Makrohämaturie, rektale Blutungen, schmerzhafte Mundschleimhautblutungen, signifikante Menorrhagie

4

Schwer

Schleimhautblutungen oder Blutungen innerer Organe (Gehirn, Lunge, Muskulatur, Gelenke), mit Notwendigkeit zur umgehenden medizinischen Versorgung oder Intervention

5

Lebensbedrohlich

Nachgewiesene intrakranielle Blutung oder lebensbedrohliche, tödliche Blutung jeder Lokalisation.

5.3.2Bisherige Stadieneinteilung und Therapieziele

Die ITP wird aktuell international in drei Krankheitsphasen eingeteilt (siehe Abbildung 2). Diese Phasen sind historisch Grundlage klinischer Therapiestudien und daher auch für den Zulassungsstatus neuer Medikamente relevant. siehe Tabelle 9.

Tabelle 9: Stadieneinteilung und Therapieziele 

Stadium

Definition

Therapieziel

neu diagnostiziert

bis zu 3 Monate nach Diagnosestellung,

Spontanremissionen sind noch häufig.

Blutungsstillung und Kuration,

bei kurzer Therapiedauer unter Inkaufnahme von Nebenwirkungen.

persistierend

zwischen 3 und 12 Monaten nach Diagnosestellung,

Spontanremission sind weniger häufig,

Blutungsstillung und Kuration,

da Therapie häufiger längerfristig, sind Nutzen und Nebenwirkungen stärker gegeneinander abzuwägen.

chronisch

mehr als 12 Monate nach Diagnosestellung,

eine spontane Remission ist jetzt nicht mehr wahrscheinlich.

Blutungsstillung und Kuration,

Lebensqualität, ggf. unter Inkaufnahme einer chronischen Thrombozytopenie.

Therapie nur bei schwereren Blutungen zwingend, bei oligo- o. asymptomatischen Pat. auch „Watch&Wait“ möglich.

Die Anpassungen der Zulassung von Romiplostim und Eltrombopaq für den unmittelbaren Einsatz nach Steroidrefraktarität sowie der internationale Konsens, eine begrenzte Steroidtherapie von höchstens 8 Wochen zu empfehlen, führen zu gegenwärtigen Diskussionen über eine Neugestaltung der Behandlungsphasen [11]. Potenziell könnte die Immunthrombozytopenie (ITP) in eine akute Phase mit Steroidtherapie und nach Ablauf von 8 Wochen in eine chronische Phase mit Indikation für Zweitlinienmedikamente unterteilt werden.

5.4Prognose

Die ITP des Erwachsenen verläuft in ca. 60-70% der Fälle chronisch [12]. Es gibt keinen Marker, der verlässlich einen chronischen Verlauf vorhersagen könnte. Heute weiß man jedoch, dass ein Drittel bis zwei Drittel der chronischen ITP-Pat. eine Remission erreichen, zum Teil noch nach vielen Jahren. Dies hat Auswirkungen auf die Therapiewahl, z.B. auf die Entscheidung, eine Splenektomie zu empfehlen, siehe Kapitel 6.1.4.3.

Bei der pädiatrischen ITP gibt es prognostische Faktoren für Spontanremission (Alter, vorangehende Infek-tionskrankheit, Thrombozytenwert und Blutungsstärke bei Diagnose). Die Wahrscheinlichkeit einer Remission ist höher bei Kindern, die jünger als 10 Jahre sind. Keine oder milde Blutungssymptome sind mit einem höheren Risiko für chronische ITP assoziiert.

In einer aktuellen Arbeit, die Pat. mit chronischer ITP und Erstdiagnose zwischen 1980 und 2016 einschloss zeigte sich die Lebenserwartung weiterhin reduziert im Vergleich zur Normalbevölkerung [13]. Durch Zurückhaltung bei der Steroidtherapie und die Einführung der Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten ist die Prognose in den letzten Jahren deutlich besser geworden. Die Mortalität liegt in aktuellen pädiatrischen Studien bei 0%, bei Erwachsenen bei 0-7%. Prognostische Faktoren und Risikoindikatoren sind in Tabelle 10 zusammengefasst.

Tabelle 10: Prognose und Risikoindikatoren 

Eher selbstlimitierender Verlauf

Eher chronischer Verlauf

Erhöhtes Risiko schwerer Blutungen

Kinder, Jugendliche,

Beginn nach Infekt,

plötzlicher Beginn,

klinisch ausgeprägte Blutungsneigung,

schnelle Therapieansprache.

Erwachsene, insbes. > 60. LJ,

Keine vorausgehende Erkrankung eruierbar,

Schleichender Beginn,

geringe Blutungsneigung oder Zufallsbefund bei asymptomatischen Pat.,

keine oder nur geringe Ansprache auf Erstlinientherapie.

Nachweis von ANA, Rheumafaktor oder Antiphospholipid-AK

Alter > 60 Jahre,

Thrombozyten < 20 - 30 x 109/L,

Infektion, Fieber,

Hämaturie,

multiple Hämatome,

Schleimhautblutungen („Wet Purpura“),

Anamnestisch schwere Blutungen,

Fehlende Ansprache auf Kortikosteroide,

Autoantikörper gegen mehrere statt gegen nur ein Thrombozytenantigen.

Bei Kindern: modif. Buchanan Score ≥3

5.5Differenzialdiagnose

5.5.1Übersicht

Bei persistierender oder chronischer ITP müssen weitere Differenzialdiagnosen erwogen werden, siehe Tabelle 11.

Tabelle 11: Differenzialdiagnose bei V.a. ITP 

Differenzialdiagnose

Anamnese, typische Befunde

Pseudothrombozytopenie

1-5‰ aller Blutproben; Messung mit alternativem Antikoagulanz (z.B. ThromboExakt Monovette®)

Hereditäre Thrombozytopenie

Familienanamnese, MPV und Blutausstrich zur Beurteilung der Thrombozytenmorphologie

Medikamenten-induzierte Thrombozytopenie

Anamnese, Testung auf Medikamenten-abhängige Thrombozyten-Antikörper.

Zytostatika-induzierte Thrombozytopenie

Anamnese (nicht nur auf „klassische“ Zytostatika, sondern auch „neuere“ Substanzen, z.B auch bei Immun-Checkpoint-Inhibitoren, siehe Kapitel 6.2.4

Virustatika-induzierte Thrombozytopenie

Anamnese

Heparin-induzierte Thrombozytopenie (HIT)

Anamnese und HIT-Labordiagnostik

Schwangerschaftsassoziierte-Thrombozytopenie

Thrombozyten meist über 80 x 109/L

Infektionen (Viren, Bakterien, Parasiten)

z.B. SARS-CoV-2, HIV, CMV, EBV, Röteln, Parvovirus B19, Hantaviren, Blutkultur bei V.a. Sepsis, Blutausstrich, bei V.a. Malaria

Lebererkrankungen

Leberwerte, Hepatitis-Serologie, Zirrhosediagnostik

Splenomegalie mit Hypersplenismus

zahlreiche Ursachen, häufig Leberzirrhose, Infektionen, hämatol. Erkrankungen (isolierte Milzvergrößerung z.B. bei Haarzell-Leukämie, Marginalzonen-Lymphom), an M. Gaucher denken

Alkoholabusus

Alkohol ist direkt knochenmarktoxisch

Schwere Vitaminmängel (B12, Folsäure)

Labordiagnostik

Andere Autoimmunerkrankungen

Labordiagnostik für SLE., Rheumatoidarthritis, APS,

Evans-Syndrom

Anämie, positiver direkter Antiglobulin-Test

Hämatologische Systemerkrankungen (Leukämien, MPN, MDS, ICUS, Myelom, Lymphome, CVID, Autoimmun-lymphoproliferatives Syndrom, aplastische Anämie, PNH, GvHD)

In der Regel mit Veränderung auch anderer Blutzellreihen und/oder der Serum-Immunglobuline,

Bei Kindern ist die ALL die wichtigste DD der neu-diagnostizierten ITP!

Thrombotisch Thrombozytopenische Purpura und Hämolytisch Urämisches Syndrom

Meist weitere Symptome: Fieber, Hämolyse, Niereninsuffizienz, neurologische Symptome etc., ADAMTS13 Bestimmung

von Willebrand Syndrom Typ 2b

Von Willebrand Diagnostik

Verbrauchskoagulopathie

Veränderung weiterer Gerinnungsparameter

Große Hämangiome (z.B. Kasabach-Merritt-Syndrom), große Aneurysmen

Klinisches Bild

Zyklische Thrombozytopenie

Ursache unbekannt, häufiger Frauen

Autoimmunerkrankungen (SLE), Medikamente und die CLL sind die drei häufigsten Ursachen einer sekundären ITP. Medikamenten-induzierte Thrombopenie, Myelodysplasien und Lebererkrankungen sind die drei häufigsten Differenzialdiagnosen, die mit einer ITP verwechselt werden [14].

5.5.2Medikamenteninduzierte Thrombozytopenie

Diese ist eine wichtige Differenzialdiagnose der ITP und kann manchmal nur durch wiederholte Anamnese ausgeschlossen werden. Dabei müssen auch naturheilkundliche und nicht-rezeptpflichtige Medikamente erfragt werden. Die Inzidenz wird mit 0,1 pro 10.000 pro Jahr angegeben. In der Regel hat die medikamenteninduzierte ITP einen akuten Verlauf. Nach Absetzen des Medikamentes erholt sich die Thrombozytenzahl rasch wieder. Eine aktuelle Liste von Arzneistoffen, für die medikamenteninduzierte Thrombozytopenien beschrieben wurden, findet sich bei [15].

5.5.3Zyklische Thrombozytopenie*

*Übersicht bei [1617]

Die zyklische Thrombozytopenie ist eine seltene Differenzialdiagnose. Typisch sind die periodischen Schwankungen der Thrombozytenzahl, meist in einem 3-5 Wochen-Abstand. Die Diagnose ergibt sich aus dem Verlauf der Thrombozytenwerte. Der zugrunde liegende Pathomechanismus ist unbekannt. Überwiegend sind Frauen betroffen. Die üblichen ITP-Therapien sind unwirksam. Einige wenige Pat. sprechen auf Rituximab, Cyclosporin A oder Danazol an.

6Therapie

6.1Therapiestruktur

Die Therapieindikation soll nicht allein von der Blutungsneigung und der Thrombozytenzahl abhängig gemacht werden. Krankheitsstadium, Krankheitsverlauf und weitere individuelle Faktoren sind zu berücksichtigen [1819]. Ein Algorithmus zur Therapiesequenz bei Pat. mit Immunthrombozytopenie ist in Abbildung 1 dargestellt. Für pädiatrische Pat. siehe auch Kapitel 6.1.4.4

Abbildung 1: Algorithmus zu Therapieempfehlungen bei Immunthrombozytopenie 
1watch&wait – abwartendes und beobachtendes Verhalten,
2watch&wait in der Erstlinientherapie bei Thrombo-zyten <20-30.000/µl und fehlender oder minimaler Blutungsneigung kein Therapiefehler, wenn nach aus-führlicher Aufklärung Glukokortikoide vom Pat. weiterhin abgelehnt.
3TRA – Thrombopoetin-Rezeptor-Agonist (Avatrom-bopag, Eltrombopag, Romiplostim),
4Bei schweren Blutungen WHO Grad III oder IV, siehe auch Tabelle 7,
5Zulassung beachten: Avatrombopag und Fostamati-nib “off-label“ bei Erkrankungsdauer kürzer als 12 Monate,
6Splenektomie möglichst erst nach dem 12. Monat empfehlen,
7Zulassungsstatus beachten, siehe auch ITP Zulassungsstatus.

Arzneimittel und Dosierungen finden sich im Anhang ITP Therapieprotokolle, Informationen zum Zulassungsstatus in ITP Zulassungsstatus.

6.1.1Therapieindikation

Bei der Entscheidung zur Behandlung müssen zahlreiche Faktoren berücksichtigt werden:

  • die klinische Blutungsneigung,

  • Thrombozytenzahl,

  • Krankheitsstadium (neu-diagnostizierte vs. persistierende vs. chronische ITP),

  • bisheriger Krankheitsverlauf und Blutungsanamnese,

  • Therapienebenwirkungen,

  • Konsequenzen für Ausbildung und Beruf (Berufsunfähigkeit vermeiden),

  • Pat.alter, Nebenerkrankungen, Begleitmedikation (insbes. Antikoagulanzien),

  • Zugang zu ambulanter und stationärer fachärztlicher Versorgung,

  • Erfahrung des betreuenden Arztes / der Klinik in der Therapie der ITP,

  • Pat.-präferenz, Gesundheitskompetenz, psychosoziale Situation,

  • bei Kindern und Jugendlichen stärkerer Bewegungsdrang, deshalb besondere Berücksichtigung des Verletzungsrisikos in Kindergarten, Schule, Freizeitaktivitäten.

6.1.2Thrombozytenschwellenwert

Das Blutungs- und Mortalitätsrisiko steigt, wenn eine Thrombozytenzahl von 20-30 x 109/L unterschritten wird, jedoch bestehen große individuelle Schwankungen. Die traditionelle Annahme eines Thrombozytenschwellenwertes, bei dessen Unterschreiten jeder Pat. behandelt werden muss und bei dessen Überschreiten keine Therapieindikation mehr besteht, ist nicht evidenzbasiert.

Die Indikationsstellung allein nach der Thrombozytenzahl, ohne Berücksichtigung individueller Pat.-faktoren ist obsolet.

Je länger die ITP andauert, desto weniger relevant werden die Thrombozytenzahlen bei der Indikationsstellung zur Therapie. Die Nebenwirkungen der Behandlung müssen gegen den Nutzen abgewogen werden. Prinzipiell kann auch bei niedrigen Werten eine „Watch & Wait“ Strategie verfolgt werden, wenn die Pat. dies wünschen und nicht bluten. Studien zur Lebensqualität haben allerdings gezeigt, dass die Thrombozytenzahl für viele Pat. ein wichtiger Parameter ist und Sorge über sehr niedrige Thrombozyten die Lebensqualität beeinträchtigen kann [20].

6.1.3Erstlinientherapie

6.1.3.1Kortikosteroide

Kortikosteroide wirken immunsuppressiv und die gängige Vorstellung ist, dass sie die Bildung von Thrombozytenantikörpern hemmen. Zahlreiche ältere Studien zeigten, dass bei den allermeisten Erwachsenen mit Kortikosteroiden ein Anstieg der Thrombozytenzahl erreicht werden kann. Nach Absetzen der Kortikosteroide fallen die Thrombozyten bei Erwachsenen jedoch in der Mehrzahl wieder ab.

Zu beachten ist, dass lange Steroidtherapien keine Verbesserung der Remissionsrate erreichen, jedoch stets mit belastenden Kortikosteroid-Nebenwirkungen verbunden sind. Deshalb wird heute international eine Limitierung der Therapiedauer mit Kortikosteroiden auf maximal 6-8 Wochen empfohlen. Dosierung siehe ITP Therapieprotokolle.

Zur Minderung des Osteoporose- und Frakturrisikos durch Kortikosteroide hat die British Society of Haematology Empfehlungen publiziert [21].

Eine randomisierte, prospektive Studie konnte zeigen, dass eine Kombinationstherapie von Kortikosteroid mit Mycophenolat in der Erstlinie die Rate therapiefreier Remissionen im Vergleich zur Kortikosteroid Monotherapie signifikant auf ca. 60-70% erhöht [22]. Myophenolat geht jedoch mit relevanten Nebenwirkungen einher und ist für die ITP Behandlung nicht zugelassen.

Die Anwendung von TRAs in der Erstlinientherapie bei Pat., die bisher noch gar keine Kortikosteroidtherapie erhalten hatten, ist „off-label“ und auf Studien beschränkt.

6.1.3.1.1Predniso(lo)n versus Dexamethason

Zwei randomisierte Studien mit allerdings nur geringen Pat.zahlen zeigten höhere Langzeitremissionsraten bei der Erstlinientherapie mit Dexamethason im Vergleich zu Prednison, zur Dosierung, siehe ITP Therapieprotokolle. Andere Studien fanden keinen Unterschied in der Langzeitremissionsrate, aber ein schnelleres Ansprechen mit Dexamethason und damit eine geringere Steroid-Gesamtbelastung [23]. Cushingoide Veränderungen sind unter Dexamethason nicht so häufig wie mit Prednison. Die Entscheidung zwischen Predniso(lo)n und Dexamethason sollte der Expertise des Arztes vorbehalten bleiben.

6.1.3.2Kinder und Jugendliche*

*(Siehe [9])

Die pädiatrische ITP unterscheidet sich in Verlauf und Prognose von der ITP des Erwachsenenalters. Bisher ist kein Standard zur Therapie der chronischen ITP bei Kindern und Jugendlichen definiert worden. Deshalb sollten die Pat. in Zentren mit pädiatrisch-hämatologischer Expertise betreut werden.

Je jünger das Kind ist, desto eher findet sich ein akutes Auftreten der Blutungsneigung, häufig nach einem Infekt. Meist ist die Thrombozytopenie aber nur vorübergehend und chronische Verläufe sind seltener als bei Erwachsenen. Je älter das Kind desto eher ähnelt der Verlauf dem des Erwachsenenalters. Die Indikation zur Therapie wird unter Berücksichtigung der Blutungszeichen, der Thrombozytenzahl und individueller Risikofaktoren gestellt.

Zur Erstlinienbehandlung gehören nebst Beobachtung ohne Medikamente ggf. auch die Therapie mit Kortikosteroiden und Immunglobulinen. Bei der neu diagnostizierten ITP im Kindes- und Jugendalter ist die medikamentöse Therapie jedoch häufig verzichtbar. Schleimhautblutungen und Blutungen höher als 3b nach dem modifiziertem Buchanan Blutungsscore (siehe Tabelle 8) stellen eine Indikation dar. Die Thrombozytenzahlen sind grundsätzlich nicht das entscheidende Kriterium für die Behandlung der neu diagnostizierten pädiatrischen ITP. Individuelle Gesichtspunkte wie Alter, Verletzungsanfälligkeit und psychosoziale Aspekte sollen mitberücksichtigt werden.

Retrospektive Studien und Registerdaten, die sowohl behandelte als auch unbehandelte Kinder umfassen, beschreiben eine Inzidenz von ~3% für schwere bis lebensbedrohliche Blutungen. Besonders gefürchtet sind intrakranielle Blutungen, deren Inzidenz beträgt<1%. In der Regel liegen die Thrombozytenzahlen zum Zeitpunkt der Blutung bei 20 x 109/L oder darunter. Die betroffenen Kinder haben im Vorfeld häufig Schleimhautblutungen (Mund, Nase, pharyngeale Blutungen – „Wet Purpura“), insbesondere bei Hämaturie ist Vorsicht geboten.

Bei schweren Blutungen sollten bevorzugt IVIG und bei lebensbedrohlichen Blutungen zusätzlich Kortikosteroide, Thrombozytenkonzentrate gegeben werden.

Bei geringem oder fehlendem Therapieansprechen sollte die Diagnose erst recht hinterfragt und die Pat. – wenn noch nicht erfolgt - in einem Zentrum mit ausgewiesener hämatologischer Expertise vorgestellt werden. Die wichtigste Differenzialdiagnose der neu-diagnostizierten ITP im Kindesalter ist die Akute Lymphatische Leukämie.

Therapieempfehlungen bei Kindern und Jugendlichen mit neu aufgetretener ITP sind in Tabelle 12 zusammengefasst.

Tabelle 12: Erstlinientherapie bei Kindern und Jugendlichen mit neu aufgetretener ITP 

Blutungsgrad

(Risiko)*

Blutungszeichen

Therapieempfehlung

0 bis 2 - niedrig

Keine frischen Blutungszeichen bis zu vielen Petechien und >5 große Hämatome (>3cm)

Beobachtung

3a - moderat niedrig

Mundschleimhautblutungen, Blutkrusten in den Nasenlöchern, milde Epistaxis, Dauer <5 min

Keine Regelvorgabe möglich, individualisierte Therapieentscheidung.

Unter Berücksichtigung der (i) Thrombozytenwerte, (ii) Verletzungsrisiko, (iii) Infektion, Fieber, (iiii) soziale Aspekte.

3b - moderat hoch

Epistaxis >5 min, Hämaturie, rektale Blutungen, schmerzhafte Mundschleimhautblutungen, signifikante Menorrhagie

Prednison 4 mg/kg/d an 4 Tagen oder/ und IVIG 0.8-1g/kg/d an 1 (- 2) aufeinanderfolgenden Tagen.

Ggf. zusätzlich Tranexamsäure 20-25 mg/kg/d in 3 Einzeldosen p.o.

Bei Hypermenorrhoe ggf. hormonelle Therapie, gynäkologisches Konsil.

4 - hoch

Schleimhautblutungen oder Blutungen innerer Organe (Gehirn, Lunge, Muskulatur, Gelenke).

Umgehende medizinische Intervention notwendig.

Prednison 2-4 mg/kg/d an 4 Tagen und IVIG 0.8-1g/kg/d an 2 aufeinanderfolgenden Tagen

Ggf. zusätzlich Tranexamsäure 20 -25 mg/kg/d in 3 Eeinzeldosen p.o.

Bei Hypermenorrhoe ggf. hormonelle Therapie, gynäkologisches Konsil.

5 - lebensbedrohlich

Nachgewiesene intrakranielle Blutung oder lebensbedrohliche Blutung jeder Lokalisation

oder Notfall-OP

Gleichzeitig:

(1) Thrombozytenkonzentrate, wiederholte Transfusionen, höhere Dosierungen, wegen verkürzter HWZ.

(2) Methylprednisolon 30 mg/kg KG i.v. (max. 1 g) an 3 aufeinanderfolgenden Tagen

(3) IVIG 0.8- 1g/kg/d an 2 aufeinanderfolgenden Tagen

(4) Ggf. zusätzlich Tranexamsäure 20-25 mg/kg/d in 3 Einzeldosen p.o.oder 10-20 mg/kg/d i.v.

Als Ultima Ratio operative Verfahren, Notfallsplenektomie

bei zerebralen Blutungen ggf. Entlastungskraniotomie

* Blutungsgrad gem. modifiziertem Buchanan Score für pädiatrische ITP-Pat., siehe Tabelle 8
6.1.3.3Therapie von Notfällen

Bei schweren (WHO °III/IV) oder kritischen Blutungen (siehe Kapitel 5.3.1. für ISTH Definition) oder vor nicht aufschiebbaren Operationen werden neben Kortikosteroiden zusätzlich IVIG zur schnellen Anhebung der Thrombozytenzahl empfohlen. Bei lebensbedrohlichen Blutungen sollten zusätzlich Thrombozytenkonzentrate gegeben werden, siehe Kapitel 6.1.3.3.3.

Bei lebensbedrohlichen Blutungen kann, wenn die o.g. Maßnahmen keine Blutstillung erreichen die zeitnahe Gabe von Rituximab und Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten erwogen werden, siehe Kapitel 6.1.3.3.3.

Zur unterstützenden Behandlung insbesondere von Schleimhautblutungen kann die Gabe des Antifibrino-lytikums Tranexamsäure sinnvoll sein.

6.1.3.3.1Notfalltherapie mit intravenösen Immunglobuline (IVIG)

Intravenös applizierte Immunglobuline blockieren die Phagozytose von antikörperbeladenen Thrombozyten und führen zu einem raschen, aber meist nur kurzfristigen Thrombozytenanstieg. Die empfohlene Dosis beträgt einmalig 0,8-1g/kg KG. Dabei erreichen Immunglobuline keine anhaltenden Remissionen. Nach 2-4 Wochen fallen die Werte in der Regel wieder auf das Ausgangsniveau. Dadurch beschränkt sich die Indikation von IVIG auf Situationen, in denen ein schneller Thrombozytenanstieg erreicht werden muss (Blutungen, nicht-aufschiebbare Operationen) oder wenn höher-dosierte Kortikosteroide vermieden werden sollen, z.B. Schwangerschaft, siehe Kapitel 6.2.5.

6.1.3.3.2Notfalltherapie mit Anti-D-Immunglobulinen

Anti-D bindet an Rh-positive Erythrozyten. Die Antikörper-beladenen Erythrozyten werden in der Milz phagozytiert. Bei ITP-Pat. wird dadurch der Abbau von Antikörper-beladenen Thrombozyten kompetitiv gehemmt und die Thrombozytenzahl steigt. Deshalb ist Anti-D nur bei Rh-positiven Pat. wirksam und auch nur, wenn die Milz noch nicht entfernt wurde. Das Präparat WinRho wurde Ende der 90er Jahre mit der Indikation ITP für den europäischen Markt zugelassen, 2009 wegen Fällen von schwerer intravasaler Hämolyse aber wieder vom Markt genommen.

Die aktuell erhältlichen Anti-D-Präparate (Rhophylac®, Rhesonativ®, u.a.) wurden zwar auch schon bei ITP eingesetzt, sind jedoch nicht zugelassen. Neue Studiendaten deuten darauf hin, dass die intramuskuläre Gabe von Anti-D-Präparaten bei ITP Pat. mit besseren Ansprechraten und weniger Nebenwirkungen einhergeht [24].

6.1.3.3.3Notfalltherapie mit Thrombozytenkonzentraten, Rituximab, Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten

Bei schweren oder kritischen Blutungen (siehe Kapitel 5.3.1). kann möglicherweise mit Thrombozytenkonzentraten ein kurzfristiger Anstieg der Thrombozytenzahl und ein Sistieren der Blutung erreicht werden. Meist reichen dazu nicht die üblichen 1-2 Konzentrate. Eine Stimulation der Thrombozytenantikörper-Bildung durch die Thrombozytengabe ist nicht belegt. Bei schwersten Blutungen kann auch der zusätzliche Einsatz von Rituximab und die frühzeitige Gabe von Thromobopoetin-Rezeptor-Agonisten erwogen werden.

6.1.4Zweitlinientherapie

Wenn die Erstlinientherapie kein Ansprechen zeigt sollte die Diagnose einer primären ITP reevaluiert werden. Besteht weiterhin der Verdacht auf eine primäre ITP sollte man auf eine Zweitlinientherapie umstellen. Das gilt auch, wenn die Erstlinientherapie schlecht vertragen wurde oder nur zu einer kurzen Remission geführt hat. Wie in der Erstlinientherapie gibt es keinen definierten Thrombozytenschwellenwert zur Einleitung einer Zweitlinientherapie. Die Indikation zur Behandlung ist immer eine individuelle Entscheidung. Dabei sind die gleichen Faktoren zu berücksichtigen, wie bei der Indikation zur Erstlinientherapie, siehe Kapitel 6.1.1

Wenn die Erstlinientherapie zum Ansprechen geführt hat es aber nach mehr als 6 Monaten zum Rezidiv kommt, kann man noch einmal mit dieser Erstlinientherapie behandeln, sofern sie initial ohne relevante Nebenwirkungen vertragen wurde, siehe Abbildung 1.

Im Unterschied zur Erstlinientherapie tritt bei der Zweitlinientherapie und auch bei den weiteren Therapielinien die Lebensqualität und Vermeidung von Nebenwirkungen mehr in den Vordergrund. Während bei neu-diagnostizierter ITP alle Therapieversuche darauf ausgerichtet sein sollten, eine Kuration zu erreichen, ist mit zunehmender Krankheitsdauer eine dauerhafte Remission immer unwahrscheinlicher, und der potentielle Nutzen einer Therapie muss gegen die Nebenwirkungen abgewogen werden.

Grundsätzlich sollten alle Behandlungsoptionen inkl. einer „Watch & Wait“ Strategie angeboten werden. Die Pat.präferenz ist zu berücksichtigen.

6.1.4.1Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten (TRAs)

TRAs sind die etablierte Zweitlinientherapie bei Nicht-Ansprechen auf Kortikosteroide oder im Rezidiv. Dabei sind ihre unterschiedlichen pharmakologischen Eigenschaften sowie der Zulassungsstatus zu beachten.

TRAs waren ursprünglich nur für die chronische ITP, d.h. für Pat. mit einer Erkrankungsdauer über 12 Monaten zugelassen. Basierend auf neueren Studiendaten erfolgte sowohl für Romiplostim als auch für Eltrombopag eine Zulassungserweiterung, so dass der Einsatz beider Substanzen nun direkt nach Versagen der Erstlinientherapie mit Kortikosteroiden erfolgen kann.

Bei ITP-Pat. sind die Thrombopoetinspiegel im Vergleich zu gesunden Menschen zwar erhöht, aber nicht so hoch wie bei anderen Erkrankungen mit vergleichbarem Thrombozytenmangel. Man spricht deshalb von einem relativen Thrombopoetinmangel. Ausgehend von dieser Beobachtung wurden die TRAs Romiplostim (Zulassung in der EU 2009) [25] und Eltrombopag (Zulassung in der EU 2010) [26] entwickelt. Seit 2021 hat auch Avatrombopag eine Zulassung in der EU zur Behandlung der chronischen ITP beim Erwachsenen [27]. Alle drei Wirkstoffe können bei ITP Pat. die Thrombozytenzahl in einen sicheren Bereich anheben.

Die wichtigsten Daten zu TRA können folgendermaßen zusammengefasst werden:

  • Der Zielbereich der Thrombozytenzahl ist 50-150 x 109/L, d.h. eine Normalisierung der Thrombozytenzahl ist nicht nötig.

  • Bei über 90% der Pat. wird zumindest ein kurzfristiges Ansprechen erreicht.

  • Die Zahlen zum langfristigen Ansprechen schwanken zwischen 30 und 90%. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich Pat.kollektive und Remissionsdefinitionen in den Studien z.T. stark unterschieden.

  • TRAs sind bei Pat. mit und ohne Splenektomie wirksam.

  • TRAs sind bei Erwachsenen und Kindern wirksam.

  • Avatrombopag, Eltrombopag und Romiplostim unterscheiden sich in der Applikationsweise und bei einigen Nebenwirkungen, siehe Tabelle 13. Randomisierte Vergleichsstudien zur Wirksamkeit existieren nicht.

  • Die drei Substanzen sind nicht kreuzresistent, d.h. wenn der eine TRA nicht ausreichend wirksam ist, kann durchaus der andere noch ansprechen [28]

  • Die Thrombozytenzahl sollte nicht über 250 x 109/L ansteigen.

  • Die Thrombozytenzahl sollte anfangs wöchentlich, dann alle 4 Wochen kontrolliert werden. Bei stabilen Werten und gesundheitskompetenten Pat. reichen auch Quartals- oder Halbjahreskontrollen

  • Bei erhöhten Serum-Thrombopoetinspiegeln scheinen TRAs weniger gut wirksam zu sein. Eine TPO-Spiegelbestimmung vor Rezeptierung von TRAs wird jedoch nicht empfohlen, da die angegebenen Grenzwerte nicht validiert und von der Testmethode abhängig sind und weil es selbst bei TPO-Spiegeln über diesen Grenzwerten immer noch einige Ansprecher gibt.

  • Ein abruptes Absetzen von TRAs sollte vermieden werden, da es zum überschießenden Abfall der Thrombozytenzahl unter die Ausgangswerte kommen kann.

  • Bei ca 20-30% der Pat. kann eine therapiefreie Remission erzielt werden. Das heisst, dass nach Erreichen einer Remission der TRA ausgeschlichen werden kann, ohne dass die Thrombozyten erneut unter 50000/ul abfallen.

  • Avatrombopag und Eltrombopag binden beide an die transmembranöse Domäne des Thrombopoetin Rezeptors. Ein wesentlich klinisch-praktischer Unterschied besteht darin, dass man Eltrombopag nüchtern bzw. nach Nahrungskarenz einnehmen muss. Bei Avatrombopag ist die Einnahme mit einer Mahlzeit unproblematisch. Romiplostim, das an die extrazelluläre Domäne des Thrombopoetin-Rezeptors bindet wird 1 x/Woche subkutan verabreicht.

  • Die häufigsten Nebenwirkungen der TRAs sind Kopfschmerzen, Erschöpfungssymptome, Infektionen der oberen Atemwege und Entzündungen

  • Studien deuten darauf hin, dass TRA das Risiko für Thromboembolien bei ITP Pat. Möglicherweise gering erhöhen. Gleiches gilt auch für Pat. nach Splenektomie. Dies ist von besonderer Relevanz, wenn weitere Risikofaktoren für Thromboembolien hinzukommen. Hierzu gehören eine positive Thromboembolie-Anamnese sowie möglicherweise auch der Nachweis von Antiphospholipidantikörpern. Anzumerken ist, dass diese Vermutung nicht durch prospektive Studien gestützt wird. Bisher ist ein grundsätzlicher Verzicht auf TRAs bei ITP Pat. mit Antiphospholipidantikörpern nicht zu rechtfertigen. Wichtig ist jedoch die betroffenen Pat. und auch ärztliche Kolleginnen und Kollegen für diese Problematik und entsprechende Symptome zu sensibilisieren.

Tabelle 13 fasst Eigenschaften der zugelassenen TRAs und von Fostamatinib vergleichend zusammen [2931].

Tabelle 13: Vergleich von TRAs und SYK-Inhibitor bei der Therapie der ITP 

Romiplostim

Eltrombopag

Avatrombopag

Fostamatinib

Molekülstruktur

Peptid

„small molecule“

„small molecule“

„small molecule“

Angriffsort

Extrazelluläre Domäne des TPO-Rezeptors

Transmembranöse Domäne des TPO-Rezeptors

Transmembranöse Domäne des TPO-Rezeptors

Spleen Tyrosin Kinase

Applikation

s.c.

oral

oral.

oral

Nahrung

Kein Einfluss

Einfluss

Kein Einfluss

Kein Einfluss

Zulassung

Erwachsene mit primärer ITP und Kinder mit primärer chronischer ITP die auf andere Therapien refraktär sind (z.B. Kortikosteroide Immunglobuline).

Kinder und Erwachsene mit primärer ITP und Kinder mit primärer ITP und einer Krankheitsdauer von mind. 6 Monaten, die auf andere Therapien refraktär sind (z.B. Kortikosteroide, Immunglobuline).

Primäre, chronische ITP (Erkrankungsdauer > 12 Monate) bei erwachsenen Pat., die auf andere Therapien refraktär sind

Chronische ITP (Erkrankungsdauer > 12 Monate) bei erwachsenen Pat., die auf andere Therapien refraktär sind.

Relevante Nebenwirkungen

Kopf-, Gelenk,Muskel-schmerzen

x

x

x

x

Atemwegssymptome

x

x

x

x

Hypertonie

x

Arterielle und venöse Thrombosen

x

x

x

Gastrointestinale Nebenwirkungen

x

x

x

x

Leberwerterhöhung

x

x

Abbildung 2 zeigt die Krankheitsphasen der ITP und den Zulassungsstatus verschiedener Medikamente

Abbildung 2: Krankheitsphasen der ITP und Zulassungsstatus der verschiedenen Wirkstoffe 
Krankheitsphasen der ITP und Zulassungsstatus der verschiedenen Wirkstoffe
* Avatrombopag und Fostamatinib sind prinzipiell als 2nd Line-Therapien zugelassen. Allerdings darf die bisherige Erkrankungsdauer nicht kürzer als 1 Jahr sein
6.1.4.1.1Ansprechen auf Zweitlinientherapie mit TRAs

Bei unzureichendem Ansprechen auf eine TRA-Monotherapie kann durch die Kombination mit einem niedrig dosierten Steroid manchmal noch einen Thrombozytenanstieg erreicht werden [32]. Alternativ kann ein Wechsel der Substanzklasse z.B. auf den Syk-Inhbitor Fostamatinib oder eine Kombinationstherapie erfolgen. Dies wird verständlich, wenn man berücksichtigt, dass bei der ITP wahrscheinlich eine Kombination mehrerer Pathomechanismen für die Thrombozytopenie verantwortlich ist (z.B. verstärkter Abbau plus gestörte Neubildung). Wenn man mit einer Therapie, die nur einen dieser Pathomechanismen beeinflusst keinen ausreichenden Erfolg hat, kann die Kombination mehrerer Wirkprinzipen durchaus erfolgreicher sein (siehe Kapitel 2.3, Pathogenese)

6.1.4.1.2Therapiefreie Remissionen und Absetzen von TRAs

Bei bis zu 30% der mit TRA behandelten Pat. kann im Verlauf eine sog. „therapiefreie Remission“ erreicht werden. Das heisst, nach Absetzen des TRAs sind die Thrombozytenzahlen dauerhaft > 50 x 109/L und die Pat. blutungsfrei. Wenn die Thrombozyten längere Zeit stabil > 50 x 109/L liegen, kann ein Absetzversuch unternommen werden. Wichtig ist, dass TRAs dabei nicht abrupt, sondern langsam über einige Wochen bzw. Monate ausgeschlichen werden. Die Remissionsrate scheint umso höher zu sein, je früher im Verlauf einer ITP die TRAs verordnet wurden. Dabei ist zu aber zu bedenken, dass am Beginn der Erkrankung die Spontanremissionsrate wesentlich höher als zu späteren Zeitpunkten ist. In Abbildung 3 der Vorschlag für ein Absetzprotokoll für Eltrombopag und Romiplostim in Anlehnung an die Empfehlungen der Italienischen ITP-Expertengruppe [33]. Auch Avatrombopag kann bei stabilen Thrombozytenwerten langsam ausgeschlichen werden. Spezifische Dosis-Reduktionsempfehlungen existieren hierfür bisher nicht.

Abbildung 3: Absetzschema  
* Es gibt bisher keinen Konsens, wie lange die Thrombozytenzahl vor einem Absetzversuch stabil im Zielbereich eingestellt sein sollte. Die Angaben in der Literatur schwanken zwischen 4 und 12 Monaten. Die hier angegebenen 6 Monate stammen aus der aktuellen Publikation von [33].
** Solange die Thrombozytenzahl nach der Dosisreduktion nicht wieder unter 30 x 109/L abfällt (nicht unter 50 x 109/L, wenn die Pat. sonst Blutungen entwickeln) reduziert man weiter.
6.1.4.2Fostamatinib

Fostamatinib ist ein neuer („first in class“) Wirkstoff aus der Klasse der SYK-Inhibitoren (Spleen Tyrosine Kinase). SYK spielt bei der Signaltransduktion, der Phagozytose und dem Abbau von Erythrozyten (Autoimmunhämolyse) und Thrombozyten (ITP) in der Milz eine wichtige Rolle.

Fostamatinib ist seit 2020 in der EU unter dem Handelsnamen Tavlesse® für die Behandlung der chronischen ITP bei erwachsenen Pat. ab der 2. Therapielinie zugelassen. Die Zulassung von Fostamatinib ist dabei nicht auf die primäre ITP beschränkt.

In den Zulassungsstudien kam es bei 43% der Pat. nach einer medianen Zeit von 15 Tagen zu einem Ansprechen auf Fostamtinib [3435]. Eine post-hoc Analyse der Daten zeigte, dass die Ansprechrate in der Zweitlinie höher liegt als bei einem späteren Einsatz [36].

Prospektive, randomisierte Vergleiche zwischen Fostamatinib und TRA liegen bisher nicht vor. Eine retrospektive Kohortenstudie zeigte eine vergleichbare Wirkung in Bezug auf die Stabilisierung der Thrombozytenwerte [37].

Die häufigsten Nebenwirkungen in den Zulassungsstudien waren Diarrhoe, arterielle Hypertonie, Übelkeit, Erhöhung der GPT und Neutropenie. Da Fostamatinib hauptsächlich durch CYP3A4 abgebaut werden, haben CYP3A4 Inhibitoren oder Induktoren Einfluss auf die Wirksamkeit, siehe Onkopedia Arzneimittelinteraktionen. Bisher gibt es für Fostamatinib keinen Nachweis einer erhöhten Thromboembolieinzidenz. Es wird deshalb besonders bei Pat. mit entsprechendem Risikoprofil empfohlen.

6.1.4.3Splenektomie

Die Splenektomie erzielt bei der Behandlung der ITP die höchste Rate an dauerhaften, therapiefreien Remissionen. Zwei Drittel der Pat. erreichen eine partielle oder komplette Remission. Dies scheint auch zu gelten, wenn die Pat. bereits mit TRAs oder Rituximab vorbehandelt sind [38]. TRAs erreichen höhere Remissionsraten, wenn man das Ansprechen der Thrombozytenzahl betrachtet. Therapiefreie Remissionen werden jedoch nur bei bis zu 30% der Pat. erzielt. Für Pat., die einen hohen Wert darauf legen, nicht längerfristig Medikamente einnehmen zu müssen ist die Splenektomie daher empfehlenswert. Allerdings sollte sie nicht vor dem 12. Monat nach Krankheitsbeginn angeboten werden.

Während in Europa die meisten Pat. mit chronischer ITP eine 2nd Line Therapie mit TRAs, Fostamatinib oder Rituximab (off-label) bevorzugen hat die Splenektomie insbesondere in den USA, wo Pat. einen erheblichen Teil der Behandlungskosten selber tragen müssen, oder in Ländern mit finanziell weniger gut aufgestelltem Gesundheitssytem aufgrund ihrer geringeren „financial Toxicity“ ihre Attraktivität behalten. Eine Berücksichtigung der Pat.-präferenz in der Entscheidungsfindung ist zwingend notwendig. Pat., die Wert auf die Vermeidung von medikamentösen Langzeittherapien legen, kann die Splenektomie angeboten werden. Pat., die eine Operation vermeiden möchten, sollten nach TRAs und Fostamatinib vor der Entscheidung zur Splenektomie Rituximab erhalten, siehe Abbildung 1.

Es besteht eine klare Indikation zur Splenektomie für Pat. mit persistierender oder chronischer Thrombozytopenie und schweren Blutungen WHO °III der IV, die ein ungenügendes Ansprechen auf alle anderen, bisherigen Therapiemodalitäten aufweisen. Auch bei einer lebensbedrohlichen Blutung, die nicht auf Steroide und/oder IVIG anspricht, kann die Notfallsplenektomie die Therapie der Wahl sein, weil die alternative Gabe von TRAs oder Rituximab häufig nicht ad hoc die Thrombozytenzahl anhebt, sondern Zeit braucht (häufig > 1 Woche).

Es besteht keine zwingende Indikation zur Splenektomie für Pat. mit chronischer, therapieresistenter ITP, die keine, leichte oder nur mittelschwere Blutungen (WHO °0, I, II) haben, auch wenn deren Thrombozytenzahlen < 30 x 109/L liegen. Hier muss individuell entschieden werden.

Vor der Splenektomie wird zur zusätzlichen Diagnosesicherung eine Knochenmarkpunktion empfohlen, siehe Kapitel 5.2.1. Alle Pat. sollten präoperativ gegen Pneumokokken, Haemophilus influenzae B und Meningokokken geimpft werden. Nach Splenektomie ist auch bei jüngeren Personen auf einen aktualisierten Impfstatus zu achten, siehe auch Onkopedia Leitlinie Prävention von Infektionen und-Thrombosen nach Splenektomie oder bei funktioneller Asplenie und die Empfehlungen von ‚Asplenie-Net‘ (https://asplenie-net.org/).

Durch eine Splenektomie bei bis zu zwei Dritteln der Pat. partielle oder komplette Remissionen der ITP erreicht werden können (s.o.) konnten bisher keine eindeutigen prädiktiven Parameter (z.B. Alter, Geschlecht, Erkrankungsdauer, Ansprechen auf Vortherapien etc.) für den Erfolg des Eingriffs identifiziert werden. Die sztintigraphische Untersuchung mit 111Indium-markierten autologen Thrombozyten gibt Hinweise zum primären Abbauort der Thrombozyten. Es wurde gezeigt, dass Pat. bei denen die Thrombozyten vornehmlich in der Milz sequestriert werden eine höhere Ansprechrate haben als Pat. mit hepatischem bzw. gemischten Abbautyp. [39]. Allerdings sprechen auch bei hepatischem/gemischtem Abbautyp bis zu 35% der Pat. doch auf die Splenektomie an. Die Untersuchung ist sehr aufwendig und nur an wenigen nuklearmedizinischen Zentren verfügbar.

Es scheint keinen Unterschied zu machen, ob die Splenektomie laparoskopisch oder mit Laparotomie durchgeführt wird. Hier kommt es primär auf die Expertise des Operateurs an. Zur Anhebung der Thrombozytenzahl im Vorfeld der Splenektomie werden IVIG, Steroide und ggf. auch Thrombozytenkonzentrate gegeben.

6.1.4.4Kinder und Jugendliche

Bei neu diagnostizierter ITP wird die Indikation zur Therapie prinzipiell zurückhaltend gestellt. Als Erstlinientherapie werden Glukokortikoide oder IVIG empfohlen. Die TRA Eltrombopag und Romiplostim sind etablierte Zweitlinientherapien bei Kindern und Jugendlichen mit ITP. Eine kürzlich erst abgeschlossene Phase IIIb Studie zeigte die Wirksamkeit und gute Verträglichkeit von Avatrombopag bei Kindern ab dem 1 Lebensjahr. Die Zulassung der Substanz in dieser Altersgruppe wird erwartet. Unter Eltrombopag wird insbesondere bei hohen Dosierungen ein Transaminasenanstieg beobachtet. Bei einigen wenigen Kindern wurde im Zusammenhang mit der Behandlung mit Eltrombopag oder Romiplostim im Knochenmark eine leichte und reversible Retikulinfaservermehrung 1-2 nachgewiesen, systematische Untersuchungen wurden hierzu nicht durchgeführt. Generell ist as Nebenwirkungsprofil vergleichbar zu beschriebenen Nebenwirkungen bei Erwachsenen.

Die Indikation zur Splenektomie sollte bei Kindern sehr streng gestellt werden. Sie kann jedoch bei therapieresistenter ITP und schwerwiegenden Blutungen als Ultima Ratio diskutiert und individuell erwogen werden.

Supportiv kann, insbesondere zur Behandlung von Schleimhautblutungen, eine antifibrinolytische Therapie mit Tranexamsäure erfolgen.

6.1.4.5Drittlinientherapie

Für zahlreiche Arzneimittel wurde eine Wirksamkeit bei der ITP nachgewiesen, in der Regel in Fallserien. Optionen sind in Tabelle 14 zusammengestellt.

Tabelle 14: Arzneimittel in der Drittlinientherapie der ITP  

Arzneimittel

Anmerkungen

Azathioprin

Üblicherweise kombiniert man initial Azathioprin und Steroide, um nach einigen Wochen die Steroid-Dosis langsam zu reduzieren („Steroid-Sparing Agent“).

Neutropenien sind häufig (ca. 30%), die Leukozytenzahl muss regelmäßig (zu Beginn z.B. alle 2-4 Wochen) kontrolliert werden.

Die Therapie spricht langsam an und sollte mindestens 3-4 Monate gegeben werden, bevor man die Wirksamkeit beurteilt.

Azathioprin muss während einer Schwangerschaft nicht abgesetzt werden.

Ciclosporin (off-label)

Ciclosporin A wird als Monotherapie oder in Kombination mit Prednison eingesetzt. Die niedrigeren Dosen scheinen besser verträglich und nicht weniger wirksam zu sein. Ein CSA-Zielspiegel von 150 bis 400 ng/ml wird angestrebt.

Häufige Nebenwirkungen sind Erschöpfung, Schwäche, Niereninsuffizienz, Hypertonie, Neuropathie

Die Therapie spricht langsam an und sollte mindestens 2-3 Monate gegeben werden, bevor man die Wirksamkeit beurteilt.

Cyclophosphamid

Cyclophosphamid wird als Monotherapie oder in Kombination mit Prednison eingesetzt. Die Dosis muss an die Leukozytenzahl angepasst werden.

Neben den hämatologischen Nebenwirkungen sowie Übelkeit und Erbrechen wurden seltene Fälle von Blasenkrebs und sekundärer Leukämie beschrieben. Die Fertilität kann eingeschränkt sein.

Danazol (off-label)

Danazol ist ein modifiziertes Androgen und bei längerfristiger Therapie muss auf die Leberfunktion geachtet werden. Bei Frauen sollte es nicht gegeben werden (Virilisierung).

Weitere Nebenwirkungen sind Gewichtszunahme, Myalgien, Haarverlust.

Die Therapie spricht langsam an und sollte mindestens 2-3 Monate gegeben werden, bevor man die Wirksamkeit beurteilt.

Dapson (off-label)

Dapson ist ein vor über 100 Jahren synthetisiertes Sulfon.

Bei Pat. aus mediterranen Ländern und besonders bei Afrikanern und Afroamerikanern muss ein Mangel oder Defekt der Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase vorher ausgeschlossen werden.

Die Therapie spricht langsam an und ist in der Regel erst nach 4-6 Wochen zu erwarten. Danach sollte versucht werden, die Dosis zu reduzieren.

Hydroxychloroquin (off-label)

Hydroxychloroquin hat multiple Wirkungen auf das Immunsystem. Es wurde in Studien bei ITP-Pat. gegeben, die einen positiven Nachweis von ANA oder einen gesicherten SLE hatten.

Die Therapie spricht langsam an und sollte mindestens 2-3 Monate gegeben werden, bevor man die Wirksamkeit beurteilt. Meist kombiniert man Hydroxychloroquin zunächst mit Steroiden, um nach einigen Wochen die Steroid-Dosis langsam zu reduzieren („Steroid-Sparing Agent“).

Hydroxychloroquin wird besonders in Ländern mit begrenzten Resourcen des Gesundheitssystems zur Therapie der ITP angeboten.

Mycophenolat-Mofetil (off-label)

Zur besseren Verträglichkeit beginnt man in der Regel mit einer niedrigen Dosis und steigert dann langsam.

Häufig sind gastrointestinale Nebenwirkungen wie Übelkeit, Appetitlosigkeit, Durchfall, Erbrechen

Rituximab (off-label)

Rituximab ist vor und nach Splenektomie wirksam, siehe auch Kapitel 6.1.4.5.1

Kinder scheinen besser anzusprechen als Erwachsene. Rückfälle treten bei Kindern nur in den ersten Jahren auf, bei Erwachsenen auch später.

Frauen und Mädchen scheinen auf Rituximab besser anzusprechen als Männer und Jungen. Dies mag am unterschiedlichen Metabolismus von Rituximab liegen.

ITP-Pat., bei denen die Erkrankung noch nicht so lange besteht, scheinen auch besser anzusprechen.

Wichtige Nebenwirkungen sind Infusionsreaktion mit Schwäche, Übelkeit, Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen sind häufig (ca. 60%), in der Regel mild und meist nur während der ersten Infusion (deshalb Prämedikation mit Kortikosteroid); erhöhtes Infektionsrisiko

Die Reihenfolge der o.g. Therapien impliziert keine Präferenz. Die Entscheidung muss individuell getroffen werden. Zusätzliche Informationen zur Dosierung finden sich in ITP Therapieprotokolle und in ITP Zulassung.

Man muss berücksichtigen, dass Azathioprin und Cyclophosphamid nur „Altzulassungen“ zur Behandlung der ITP haben. Das bedeutet, dass diese Präparate nicht nach heutigen „Good-Clinical-Practice“- und „Evidence-Based-Medicine“ Standards untersucht wurden. Sie sollten deshalb nur gegeben werden, wenn modernere, besser untersuchte Wirkstoffe wie TRAs, SYK-Inhibitoren und Rituximab nicht wirksam sind. Auch ist der Anteil dauerhafter Remissionen nicht sehr hoch, dafür sind die Nebenwirkungen z.T. erheblich.

6.1.4.5.1Rituximab

Der Einsatz von Rituximab erfolgt in dieser Indikation in Deutschland im Off-Label-Use. Zur Beantragung der Kostenübernahme durch die Krankenkasse stehen für Mitglieder der DGHO Informationen und Formulare zur Verfügung.

Rituximab induziert eine selektive Depletion CD20-positiver B-Lymphozyten. Dadurch werden bei der ITP weniger Thrombozyten-Autoantikörper gebildet. Im Mittel erreicht Rituximab bei 60% der Pat. eine transiente Steigerung der Thrombozytenzahl. Die längerfristigen Remissionsraten liegen jedoch nur bei 10-40% [4041].

Obwohl Rituximab weltweit in keinem Land für die Therapie der ITP zugelassen ist, wird es von vielen Leitlinien als valide Therapieoption empfohlen. In der Literatur finden sich unterschiedliche Dosierungen (4 x 375 mg/m2, 4 x 100 mg absolut, 2 x 1000 mg absolut); wobei eine klare Überlegenheit einer Dosierung über eine andere nicht zu erkennen ist.

Für die Autoren ist Rituximab nach Glukokortikoiden, TRAs und SYK-Inhibitoren die nächste Standardbehandlung vor Azathioprin, Cyclophosphamid, Vinca-Alkaloiden oder anderen in der Tabelle 14 genannten Medikamenten.

Es scheint zwei Formen des Ansprechens zu geben. Manche Pat. zeigen eine Besserung bereits nach den ersten Infusionen („Early Responder“), bei anderen tritt der Thrombozytenanstieg erst Wochen nach Therapieende ein („Late Responder“). Bei fehlendem Ansprechen in den ersten 4 Wochen sollte man nicht gleich von einer Unwirksamkeit ausgehen. Aus den publizierten Studien lassen sich folgende Schlussfolgerungen zur Wirksamkeit ziehen:

  • Rituximab ist vor und nach Splenektomie wirksam.

  • Kinder scheinen etwas besser anzusprechen als Erwachsene. Rückfälle treten bei Kindern nur in den ersten Jahren auf, bei Erwachsenen auch später.

  • Frauen und Mädchen scheinen auf Rituximab besser anzusprechen als Männer und Jungen. Dies mag am unterschiedlichen Metabolismus von Rituximab liegen.

  • ITP-Pat., bei denen die Erkrankung noch nicht so lange besteht, sprechen besser an.

  • Die Behandlung mit Rituximab ist in der Regel gut verträglich. Zu beachten ist:

    • Infusionsreaktion mit Schwäche, Übelkeit, Fieber, Schüttelfrost und Kopfschmerzen sind in der Regel mild und meist nur während der ersten Infusion (deshalb Prämedikation mit Kortikosteroid)

    • anaphylaktische Reaktionen sind selten

    • erhöhtes Infektionsrisiko

    • Impfungen mit Tot- und Lebendimpfstoffen können bis zu 4-6 Wochen vor Beginn der Rituximab Therapie gegeben werden

    • verminderte Wirksamkeit von Impfungen bis zu 6 Monate nach Gabe. Eine Ausnahme stellt die Impfung mit dem Influenzaimpfstoff dar, die auch während der Therapie und innerhalb der ersten 6 Monate nach Rituximab gegeben werden kann [42]

Bei Pat. mit rezidivierter/therapieresistenter ITP und klinisch relevanten Blutungen wird Rituximab häufig als „Rescue“-Therapie eingesetzt, wenn Kortikosteroide, IVIG und TRAs nicht ausreichend wirksam sind. Für diese Indikation gibt es keine randomisierten Daten, zahlreiche Fallberichte sprechen jedoch für die Wirksamkeit.

Rituximab kann vor Splenektomie angeboten werden, um die Chance einer Remission und Vermeidung der Operation zu nutzen, siehe auch Kapitel 6.1.4.3

6.1.4.5.2Kombinationstherapien

Eine ITP, die auf multiple Vortherapien nicht anspricht und bei der die Pat. immer wieder klinisch relevant bluten, ist eine ernsthafte Erkrankung mit hoher Morbidität und Mortalität. In dieser Situation werden meist Kombinationen mehrere ITP-Wirkstoffe eingesetzt. Beispielkombinationen hierfür sind:

TRA + Fostamatinib (z.B. Avatrombopag 20-40 mg 1 x täglich + Fostamatinib 100-150 mg 2 x täglich, Dosisreduktion oder Aussetzen eines der beiden Medikamente bei Anstieg der Thrombozyten > 100 x 109/L oder bei Nebenwirkungen),

TRA + Immunsuppression (Rituximab, MMF, Azathioprin, Ciclosporin, Cyclophosphamid)

Eine Übersicht möglicher Kombinationen findet sich bei [4344].

Eine refraktäre bzw. immer wieder rezidivierende Thrombozytopenie sollte zu der Frage führen, ob es sich wirklich um eine primäre ITP handelt. Eine aktuelle Übersicht zeigt, dass in der Hälfte der Fälle bei erneuter Diagnostik dann doch eine sekundäre ITP, eine erbliche Thrombozytopenie, Lymphome, Knochenmarkinsuffizienzsyndrome (häufiger in der Pädiatrie), MDS oder eine bisher übersehene Medikamententoxizität gefunden wird [43].

6.1.5Alternative und komplementäre Behandlungsmethoden

Mehr als die Hälfte aller Pat. mit chronischer ITP nutzt alternative oder komplementäre Behandlungsformen ein, siehe auch Onkopedia Komplementäre und alternative Therapieverfahren. Evidenz für die Wirksamkeit spezifischer Verfahren bei der ITP gibt es nicht. Der Arzt sollte aktiv und empathisch danach fragen. Es ist nicht auszuschließen, dass komplementär eingesetzte Präparate Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten haben. Deshalb sollte die Thrombozytenzahl beim Einsatz solcher Therapieverfahren häufiger kontrolliert werden.

6.2Besondere Situationen

6.2.1COVID-19 und ITP

Thrombozytopenien im Rahmen von Viruserkrankungen sind nicht ungewöhnlich. Covid-19 ist davon nicht ausgenommen. Meist sind Thrombopenien im Rahmen von Viruserkrankungen jedoch nicht durch Thrombozytenautoantikörper verursacht, sondern durch andere Pathomechanismen bedingt. Allerdings kann Covid-19 auch zum erstmaligen Auftreten einer ITP-Erkrankung führen. Bei der Behandlung der ITP im Rahmen einer floriden Covid-19 Erkrankung sollten stark immunsuppressiv wirkende Substanzen (v.a. Rituximab, aber auch sehr hohe Steroiddosen) vermieden werden; das thromboembolische Potential von Covid-19 ist zu beachten [45].

6.2.2Operationen und Zahneingriffe

Wenn bei Pat. mit ITP eine Operation oder ein invasiver diagnostischer Eingriff geplant wird, stellt sich die Frage nach den präoperativ anzustrebenden Thrombozytenwerten, siehe Tabelle 15. Bei Notfalloperationen wird man in der Regel Steroide mit intravenös applizierten Immunglobulinen und ggf. auch Thrombozytenkonzentraten kombinieren. Wenn es sich um eine elektive Operation mit ausreichend Vorlauf handelt, sollte man die Gabe von Kortikosteroiden vermeiden, da diese die Wundheilung beeinträchtigen können. Mit präoperativer Gabe eines TRA kann man die Thrombozytenzahl genauso effizient anheben wie mit IVIG. Zu beachten ist, dass es bis zum Wirkungseintritt der TRA 14 Tage dauern kann.

Tabelle 15: Anzustrebende Thrombozytenwerte bei Operationen und anderen invasiven Verfahren 

Eingriff

Schwellenwert

Zahnärztliche Zahnreinigung, Zahnsteinentfernung

> 20 x 109/L

Zahnextraktion (einfach)

> 20 x 109/L

Zahnextraktion (komplex, z.B. molar)

> 50 x 109/L

Leitungsanästhesie bei Zahneingriff

> 30 x 109/L

Lumbalpunktion (elektiv)

> 50 x 109/L

Lumbalpunktion (vitale Indikation)

> 10 x 109/L

Spinalanästhesie

> 50 x 109/L

Epiduralanästhesie

> 80 x 109/L

Anlage eines zentralen Venenkatheters

> 20 x 109/L

Angiographie einschl. Koronarangiographie

> 20 x 109/L

Gastrointestinale Endoskopie ohne Biopsie

kein Schwellenwert

Gastrointestinale Endoskopie mit Biopsie

> 20 x 109/L

Bronchoskopie/Bronchiallavage

> 20 x 109/L

Bronchoskopie mit transbronchialer Biopsie

> 50 x 109/L

bei chronischer Leberinsuffizienz vor diagnostischen oder therapeutischen Eingriffen

> 20 x 109/L

Gelenkpunktion

> 20 x 109/L

Leberpunktion bei transjugulärem Zugang (bevorzugt)

> 10 x 109/L

Leberpunktion bei transkutanem Zugang

> 50 x 109/L

Beckenkammbiopsie

kein Schwellenwert

Andere Organpunktionen/Biopsien

> 50 x 109/L

Kleine Operation1

> 50 x 109/L

Kleine Operationen, bei denen durch Kompression eine Blutstillung erreicht werden kann

> 20 x 109/L

Größere Operation2

> 50 x 109/L

Bei akuten, transfusionsbedürftigen Blutungen

> 50 x 109/L

Bei weiteranhaltender Blutung und/oder Schädel-Hirn-Traum

Neurochirurgischer Eingriff

>70-100 x 109/L

Eingriffe am hinteren Augenabschnitt

>70-100 x 109/L

1Kleine Operationen sind operative Eingriffe mit einem geringen Blutungsrisiko, zu denen die Mehrzahl der peripheren Eingriffe zählt.
2Größere Operationen sind z.B. abdominelle oder thoraxchirurgische Eingriffe und Operationen in Regionen, die im Falle einer postoperativen Blutung nicht komprimiert werden können.
Anmerkung:
Diese Zahlen orientieren sich an der aktuellen Querschnitts-Leitlinie der Bundesärztekammer zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten - Gesamtnovelle 2020 [https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-ordner/mue/querschnitts-leitlinien__baek__zur_therapie_mit_blutkomponenten_und_plasmaderivaten_-_gesamtnovelle_2020, geprüft 10.10.20]. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Grenzwerte für Pat. mit Thrombozytenbildungsstörungen erhoben wurden. Für ITP-Pat. gibt es keine eigenen Daten. Hier muss die individuelle Blutungsanamnese dahingehend berücksichtigt werden, ob ein Pat. in seiner Vorgeschichte bereits bei den angegebenen Thrombozytenzahlen geblutet hat.

6.2.3Impfungen

6.2.3.1Impfungen bei Thrombozytopenie

ITP-Pat. können alle Standardimpfungen erhalten, die von den nationalen Gesundheitsbehörden empfohlen werden. Nur bei ITP-Pat. unter stark immunsuppressiver Therapie wie z. B. hohe Dosen von Kortikosteroiden oder Rituximab sind Lebendimpfungen kontraindiziert. Diese Einschränkung trifft nicht auf die Therapie mit TRAs zu. Intravenöse Immunglobuline können die Wirkung von Lebendimpfstoffen beeinträchtigen. Die Hersteller empfehlen daher Abstände von mindestens drei Monaten, bzw. bis zu einem Jahr bei Masernimpfungen, zwischen Gabe der Immunglobuline und einer Lebendimpfung einzuhalten. Viele Impfungen können bei ITP-Pat. mit niedrigen Thrombozytenzahlen s.c. statt i.m. verabreicht werden, um eine Muskelblutung zu vermeiden, analog dem Vorgehen bei Pat. mit therapeutisch dosierter Antikoagulation. Eine Liste, welche Impfstoffe bei Blutungsneigung statt i.m. alternativ auch s.c. verabreicht werden können, findet sich bei https://www.rki.de/de/content/infekt/impfen/stichwortliste/g/injektionsort_tabelle (abgefragt 25.05.24).

Bei Pat., die eine ITP in der Anamnese haben und jetzt in Remission sind, oder bei Pat., die aktuell unter einer chronischen ITP leiden, scheinen Impfungen keinen Rückfall oder eine Verschlimmerung der Thrombozytopenie zu induzieren. Wenn die Impfung unterlassen wird und Pat. dann an der Infektion erkranken, haben diese möglicherweise ein höheres Risiko, dass eine Infektion die Thrombozytopenie verschlimmert. Deshalb sollte auch die „Thrombozytopenie-behaftete“ Masern-Mumps-Röteln (MMR) Impfung allen bisher nicht geimpften Kindern mit ITP angeboten werden.

Bei Reisen in Länder, deren medizinische Versorgung nicht den europäischen Standards entspricht, wäre im Fall einer Gabe von Blutprodukten außerdem eine Infektion nicht ausgeschlossen. Deshalb wird auch eine Hepatitis B-Impfung empfohlen.

Eine bestehende bzw. unter Behandlung befindliche ITP stellt keine Kontraindikation für eine Covid-19 Impfung dar. Der Effekt der Covid-19 Impfstoffe auf die Thrombozytenzahlen bei ITP Pat. wurde umfangreich untersucht. Milde Thrombozytenabfälle treten bei bis zu 30% aller Pat. mit ITP nach Impfung auf und sind in der Regel mild bzw. klinisch irrelevant. Auch reaktive Thrombozytosen wurden beobachtet.

6.2.3.2Thrombozytopenie nach Impfungen

Kurzfristige Thrombozytopenien in Assoziation mit Impfungen wurden beschrieben. Nach MMR-Impfung liegt die Inzidenz bei 1:40.000. Studien finden aber keine Häufung chronischer Thrombozytopenien nach Impfungen. Bei den seltenen Pat., bei denen ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer ITP und einer vorhergehenden Impfung vermutet wird, sollten der Nutzen weiterer Impfungen mit diesem oder anderen Impfstoffen, die ähnliche Bestandteile enthalten, gegen die Risiken abgewogen werden.

Eine spezielle Situation ergibt sich gelegentlich nach MMR Impfungen: bei diesen Impfungen sind kurzfristige Thrombozytenopenien nicht selten und werden durch eine direkte Wirkung der lebenden, allerdings attenuierten Masern-, Röteln-, Mumps-Viren auf die Thrombozytopoese erklärt. Andererseits empfiehlt man mindestens zwei MMR Impfungen, um den vollen Impfschutz zu erreichen. In der Praxis stellt sich dann die Frage, ob eine zweite Impfung zumutbar ist, wenn es nach der ersten Impfung zu einer transiente Thrombozytopenie kam. Bei einigen Kindern wurde beschrieben, dass nach Re-Vaccination keine erneute Thrombozytopenie auftrat. Das Risiko einer Thrombozytopenie nach Infektion mit Wildviren ist aber auch nicht von der Hand zu weisen. Man sollte deshalb prüfen, ob das Kind Antikörper entwickelt hat. Im positiven Fall kann man auf die zweite Impfung verzichten. Wenn das Kind keine oder nur niedrige Antikörper-Titer aufgebaut hat, dann wird das Risiko, dass er nach einer Infektion mit Wildviren auch eine Thrombozytopenie entwickelt, als höher angesehen und eine Re-Vaccination empfohlen. Der Arzt muss beurteilen, ob das Kind bzw. seine Eltern in der Lage sind, Blutungszeichen mitzuteilen und regelmäßig zu Kontrollen zu kommen.

6.2.3.3Impfungen vor Splenektomie oder Rituximab

ITP-Pat., bei denen aufgrund häufiger oder schwerer Blutungen bzw. bei Therapieresistenz eine baldige Splenektomie zu den näherliegenden Therapieoptionen zählt, sollten frühzeitig gegen Pneumo- und Meningokokken sowie Haemophilus influenzae B geimpft werden. Das gleiche gilt für Pat., die Rituximab erhalten sollen. Impfungen nach Rituximab entfalten keine ausreichende Schutzwirkung, weil die Impfantwort für mehrere Monate unterdrückt wird.

6.2.4Sekundäre ITP

Man unterscheidet bei der ITP eine primäre Form, bei der keine auslösende Ursache erkennbar ist, von sekundären, bei denen ein direkter Auslöser für die ITP identifiziert werden kann (vgl. Tabelle 1). Ca. 20% der ITP-Erkrankungen sind sekundär. Folgende Auslöser werden häufiger genannt:

  • Autoimmunerkrankungen (Sjögren Syndrom, SLE, Rheumatoide Arthritis, Autoimmunthyreoiditis, u.a.),

  • Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (Colitis ulcerosa, M. Crohn),

  • Immundefektsyndrome (z.B. CVID),

  • Hämatologische Neoplasien: Myelodysplastische Syndrome und Lymphome (1-2% aller Lymphom- und insbesondere 2-5% der CLL-Pat. haben eine sekundäre ITP),

  • Solide Tumoren. Häufig handelt es sich dabei um Bronchial- und Mammakarzinome. In ¼ der Fälle geht die ITP der klinischen Manifestation und Diagnose der Tumorerkrankung voraus, weshalb man bei älteren Pat. mit einer neu aufgetretenen ITP auch an einen soliden Tumor denken sollte.

  • Als Nebenwirkung bei Behandlung mit Checkpoint-Inhibitoren

  • nach allogener Stammzelltransplantation,

  • Virusinfektionen (CMV, Hepatitis B und C, HIV),

  • Medikamente, siehe Kapitel 5.5.2.

Besonders bei älteren Pat. sollte man an eine sekundäre ITP denken. In der Regel steht die Therapie der Grunderkrankung im Vordergrund.

Studien zeigen, dass sich bei einem signifikanten Anteil der zu Beginn als primär klassifizierten ITP-Erkrankungen im Verlauf eine ursächliche Grunderkrankung identifizieren lässt.

6.2.5Schwangerschaft*

*(Übersicht [46])

6.2.5.1Epidemiologie

Milde Thrombozytopenien von 100 x 109/L-150 x 109/L findet man bei 5-10% der Schwangeren. Die häufigste Thrombozytopenie in der Schwangerschaft ist die Gestationsthrombozytopenie (70-80%), gefolgt von Präeklampsie und HELLP Syndrom (15-20%) und der ITP (1-4%). Selten sind Antiphospholipid-Syndrom, Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura, familiäre Thrombozytopenien und andere Syndrome.

Die absolute ITP-Häufigkeit in der Schwangerschaft beträgt ca. 1:1000-10.000. In 70-90% der Fälle ist die ITP vorbekannt, bei ca. 10-30% wird sie erst im Lauf der Schwangerschaft diagnostiziert.

6.2.5.2Verlauf der ITP und empfohlene Kontrollintervalle

Die ITP ist während der Schwangerschaft nicht statisch. Bei der Hälfte der Pat. fallen die Thrombozytenwerte weiter ab und bei einem Viertel ist dann eine Therapie erforderlich. Seltener kommt es zum gegenteiligen Phänomen, dass die Werte ansteigen. Blutungen sind ein relevantes Risiko. Die Angaben in der Literatur schwanken stark zwischen 1% und 25%. Mit fallenden Thrombozytenwerten steigt natürlich die Sorge vor relevanten Blutungen, es gibt aber auch Schwangere mit sehr niedrigen Werten, die gar nicht bluten. Man sollte die Thrombozytenzahl alle 4 Wochen bestimmen, praktischerweise bei den gynäkologischen Kontrollen. Bei Werten unter 80 x 109/L sollte in den letzten 4 Wochen vor der Entbindung die Thrombozytenzahl wöchentlich gemessen werden.

6.2.5.3Blutungs- und andere Risiken

Das Blutungsrisiko für Schwangere mit ITP ist geringer als bei Nicht-Schwangeren mit ITP. Möglicherweise spielt die prokoagulatorische Gerinnungsaktivierung in der Schwangerschaft für die geringere Blutungsneigung eine Rolle.

Auch das ungeborene Kind kann durch die ITP der Mutter betroffen sein, wenn durch den plazentaren Übertritt von Thrombozyten-Antikörpern eine Thrombozytopenie beim Neugeborenen ausgelöst wird. Das Risiko liegt bei ca. 5-10%. Intrazerebrale Blutungen treten bei <1,5% auf und die neonatale Mortalität beträgt <1%. Die Blutungen manifestieren sich nicht wie bei der neonatalen Alloimmunthrombozytopenie bereits intrauterin, sondern in der Regel peri- und bis ca. 1 Woche postnatal.

Die mütterlichen Thrombozytenwerte korrelieren nicht mit denen des Kindes. Dies ist insbesondere bei splenektomierten Frauen zu beachten. Dann können die Thrombozytenwerte der Mutter gering erniedrigt oder sogar normal sein, während der Antikörper, der durch die Splenektomie nicht verschwunden ist, beim Kind eine viel stärkere Thrombozytopenie verursacht. Der einzige prädiktive Marker ist, ob bereits bei einer vorhergehenden Geburt eine Thrombozytopenie des Neugeborenen aufgetreten war. Dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich dies bei der nächsten Geburt wiederholt.

Für den Nachweis freier Antikörper bei der Mutter als Risiko für eine fetale Thrombozytopenie liegen keine validen Daten vor.

6.2.5.4Diagnostik

Die Diagnostik orientiert sich an der Differenzialdiagnose, siehe Abbildung 4

Abbildung 4: Differenzialdiagnose der Thrombozytopenie in der Schwangerschaft 
1 EDTA - Ethylendiamintetraessigsäure;
2 GT – Gestationsthrombozytopenie;
3 ITP – Immunthrombozytopenie;
4 HIV – humaner Immundefizienzvirus;
5 HELLP – Syndrom (hämolytische Anämie, erhöhte Leberwerte, Thrombozytopenie);
6 TTP – Thrombotisch Thrombozytopenische Purpura;
7 HIT – Heparin-induzierte Thrombozytopenie;
8 z. B. myelodysplastisches Syndrom, myeloproliferative Neoplasien

Bei einer in der Schwangerschaft neu diagnostizierten Thrombozytopenie > 100 x 109/L ist in der Regel keine weitere Diagnostik notwendig. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es sich um eine harmlose Schwangerschaftsthrombozytopenie handelt. Bei Werten von < 100 x 109/L wird eine Basisdiagnostik analog dem Vorgehen bei nicht-schwangeren ITP-Pat. empfohlen.

6.2.5.5Therapieindikation bei Schwangeren

Grundsätzlich sollte einer Frau mit ITP nicht von einer Schwangerschaft abgeraten werden. Ca. die Hälfte aller Schwangeren mit ITP benötigt eine Behandlung. Während man bei nicht-schwangeren Pat. den sog. Thrombozytenschwellenwert (Wert, ab dem behandelt werden sollte) schon vor Jahren verlassen hat, lebt dieser im praktischen Umgang mit schwangeren ITP-Pat. weiter. Dies ist sowohl dem erhöhten Sicherheitsbedürfnis als auch dem Fehlen klinischer Studien geschuldet. Leitlinien und viele Experten empfehlen die Behandlung, unabhängig von der klinischen Blutungsneigung oder anderen Faktoren, sobald bei einer Schwangeren Werte von 20 x 109/L - 30 x 109/L unterschritten werden. Zum Ende der Schwangerschaft sollten die Werte höher liegen. Für die vaginale Entbindung werden meist Werte über 30 x 109/L - 50 x 109/L gefordert, für eine Sectio oder eine Leitungsanästhesie bei der Entbindung 70 x 109/L - 80 x 109/L. Im Ergebnis wird man zum Schwangerschaftsende den höheren Wert anstreben, damit man bei Problemen unter der Entbindung sofort „umsteigen“ kann.

6.2.5.6Therapie

Steroide [Predniso(lo)n]: Man wird – wenn kein Notfall die Verwendung höherer Dosen erforderlich macht – mit einer Dosis von 20-30 mg/d beginnen und versuchen, diese rasch so weit zu reduzieren, dass eine Thrombozytenzahl von 20-30 x 109/L gehalten werden kann (meist reichen 10-20 mg/d). Neben den bekannten Kortison-Nebenwirkungen auf die Mutter wie Hochdruck, Diabetes, Osteoporose, Cushing, etc. wurde in den letzten Jahren auch ein vermehrtes Auftreten von Fehlbildungen beim Neugeborenen diskutiert (Lippen-Kiefer-Gaumenspalten). Diese sind jedoch insgesamt so selten, dass ein Therapieverzicht allein aus Furcht vor diesem Risiko nicht gerechtfertigt erscheint.

Dexamethason ist in der SS kontraindiziert. Störungen der Fötalentwicklung sind möglich.

Die Gabe von Steroiden (oder IVIG s.u.) an die Mutter, allein mit dem Ziel, die Thrombozytenzahl beim Fetus zu steigern ist nicht sinnvoll.

Wenn die Patientin längerfristig pränatal Steroide hatte, wird man postpartal nicht abrupt absetzen, sondern über 4-6 Wochen langsam „ausschleichen“ und dabei regelmäßig die Thrombozytenzahl prüfen. Wenn die Thrombozytenzahlen dann postpartal wieder abfallen oder wenn Blutungen auftreten, muss man eine 2nd-Line Therapie erwägen.

IVIG: Wenn höhere Steroid-Dosen notwendig sind oder wenn Therapie-begrenzende Nebenwirkungen wie Hypertonie, diabetische Stoffwechsellage, Osteoporose, starker Gewichtsanstieg, Psychose, etc. auftreten, kann man alternativ IVIG anwenden. Immunglobuline können wiederholt und besonders zum Ende der Schwangerschaft zur weiteren Anhebung der Thrombozytenzahl vor Entbindung (und evtl. PDA) gegeben werden.

Splenektomie: Bei schwerer, nicht anders kontrollierbarer Thrombozytopenie und Blutungen ist die Splenektomie indiziert. Wenn möglich sollte die Splenektomie laparoskopisch im 2. Trimester durchgeführt werden.

Weitere Therapien

  • Thrombozytenkonzentrate: können bei nicht beherrschbarer Thrombozytopenie und klinisch relevanten Blutungen gegeben werden

  • Thrombopoetin-Rezeptor-Agonisten (TRAs) sind keine etablierten bzw. zugelassene Therapie in der Schwangerschaft. Mehrere aktuelle Arbeiten deuten jedoch darauf hin, dass zumindest mit einer transienten Anwendung keine erhöhten Gefahren für Mutter und Kind verbunden sind [47]. Im individuellen Fall (hohes Blutungsrisiko, fehlendes Ansprechen auf zugelassene Medikation) und insbesondere im letzten Trimenon wäre die Gabe eines TRAs somit kein Behandlungsfehler.

  • Rituximab ist trotz fehlender Zulassung fester Bestandteil der Zweit- oder Drittlinienempfehlungen aller aktuellen Leitlinien für nicht-schwangere Pat.. Bei Schwangeren wird Rituximab aufgrund des „Off-Label“ Status jedoch nur sehr zurückhaltend empfohlen. Es gibt nur Fallserien oder Einzelfallberichte. Rituximab kann die Plazenta passieren und in seltenen Fällen beim Neugeborenen eine Lymphozytopenie auslösen. Beim Einsatz von Rituximab ist der potenzielle Nutzen besonders sorgfältig gegenüber dem potenziellen Risiko für den Fötus abzuwägen.

6.2.5.7Peri- und postpartales Management

Die Entscheidung zur Sectio sollte nicht durch die ITP, sondern allein durch die geburtshilfliche Situation der Mutter bestimmt werden. Die Angaben zur Häufigkeit schwerer postpartaler Blutungen bei ITP-Pat. schwanken zwischen 8% und 21%. Die Gabe von Thrombozytenkonzentraten sollte Notfällen und nicht anders stillbaren Blutungen vorbehalten bleiben.

Bis zu ⅓ der Neugeborenen sind Thrombozytopen mit Werten unter 100 x 109/L und bis zu 14% hat Werte unter 50 x 109/L. Hat das Neugeborene <20 x 109 Thrombozyten/L oder bei Blutungszeichen, soll mit IVIG und Steroiden behandelt werden. Da der Thrombozytennadir z.T. auch erst nach einigen Tagen auftritt (bis zu 1 Woche nach der Geburt), sollte entsprechend lange kontrolliert werden.

Postpartal hat die Mutter durch die präpartale ITP-Therapie meist Thrombozyten >50 x 109/L oder sogar Werte im Normbereich. Da die ITP eine „thrombophile“ Erkrankung ist, sollte bei diesen Werten und Immobilität der Wöchnerin eine Thromboseprophylaxe mit niedermolekularem Heparin erwogen werden.

6.2.6Alte Pat., Komorbiditäten, Komedikation

6.2.6.1Grundlagen

Zwischen 20 und 40% aller ITP-Pat. sind >60 Jahre. Bei älteren Pat. ist die ITP-Inzidenz fast doppelt so hoch ist wie bei jüngeren. Die ITP der älteren Pat. unterscheidet sich von der des jüngeren:

  • Blutungen sind bei älteren Pat. häufiger.

  • Ältere Pat. nehmen mehr Medikamenten und haben eine erhöhte Inzidenz Medikamenten-induzierter Thrombozytopenien.

  • Ältere Pat. sprechen nicht so gut auf die Therapie an wie jüngere. Auch Nebenwirkungen der Therapie sind häufiger.

  • Bei älteren Pat. werden andere Erkrankungen, die mit einer isolierten Thrombozytopenie einhergehen können, z.B. ein MDS, eher als ITP fehldiagnostiziert.

  • Viele ältere Pat. haben Komorbiditäten oder erhalten eine medikamentöse Antikoagulation, die bei der Wahl der ITP-Therapie, bei potentiellen Nebenwirkungen und bei der Intensität des Monitorings mit beachtet werden müssen.

  • Eine aktuelle Studie zeigt, dass Knochenmarkdiagnostik, die wegen der häufigeren Differenzialdiagnosen gerade bei Älteren hilfreich wäre, bei nur ca. der Hälfte der Pat. durchgeführt wird.

6.2.6.2Komorbiditäten

Fast 2/3 aller ITP- Pat. über 60 Jahre hat Komorbiditäten, die den Verlauf und die Therapie der ITP beeinflussen. Häufig sind: Hypertonie, Diabetes, Koronare Herzkrankheit, Neuropsychiatrische Erkrankungen, Pneumonien, Anämie und Katarakte.

ITP- Pat. haben im Vergleich zu Nicht-ITP- Pat. ein ca. 3x höheres Risiko, an einem Malignom, insbesondere einem Lymphom zu erkranken.

6.2.6.3Antikoagulation

Schon allein aufgrund ihres Alters haben viele ITP- Pat. kardiale oder vaskuläre Nebenerkrankungen, die eine Antikoagulation erfordern. Andererseits sind Antikoagulanzien bei Thrombozytopenie in der Regel formal kontraindiziert. Für diese Situationen gibt es nur Fallberichte, die keine evidenzbasierte Empfehlung erlauben. Abbildung 5 fasst die Empfehlungen zum Vorgehen bei Thrombozytopenie und gleichzeitig dringender Indikation zur therapeutischen Antikoagulation zusammen.

Abbildung 5: Antikoagulation bei Thrombozytopenie 
1 wenn es dennoch zu Blutungen kommt: Dosis reduzieren
2 z.B. Heparin in halbtherapeutischer oder prophylaktischer Dosierung oder Thrombozytenhemmer jeden 2. Tag; wenn es dennoch zu Blutungen kommt: Dosis reduzieren.
Wenn es zu Beschwerden durch erneute Gefäßverschlüsse kommt: Dosis erhöhen
3 In der Regel keine Antikoagulation, außer in Fällen mit hohem Risiko einer erneuten Thromboembolie oder eines erneuten arteriellen Gefäßverschlusses. Empfehlung:
Wenn Blutungen durch die Thrombozytopenie klinisch im Vordergrund stehen → keine Antikoagulation,
Wenn Beschwerden durch Gefäßverschlüsse im Vordergrund stehen → Antikoagulation mit halb-therapeutischer oder prophylaktischer Dosis und je nachdem, ob dann Blutungen auftreten oder nicht, Dosis anpassen. Alternativ: Anheben der Thrombozytenzahl durch ITP-spezifische Therapie. Manchmal kann auch bei ITP-Pat. ein Ansprechen auf Thrombozytenkonzentrate beobachtet werden (siehe Kapitel 6.1.3.3.3). Wenn so Thrombozyten >50.000/µl ansteigen, dann volldosierte Antikoagulation.

6.2.7ITP als Risikofaktor für venöse und arterielle Thrombembolien

Bei ITP kommt es nicht nur zu einer Blutungsneigung, auch das Risiko venöser und arterieller Thromboembolien ist ca. 2x höher als bei einer vergleichbaren Gruppe von Nicht-ITP-Pat. Die ITP ist somit gleichzeitig eine hämorrhagische als auch eine thrombophile Erkrankung. Die Pat. sind durch ihre Thrombozytopenie nicht vor Herzinfarkten, Schlaganfällen oder Thrombosen geschützt. Pat. mit niedriger Thrombozytenzahl (< 50 x 109/L) sind von dem Risiko nicht ausgenommen

Der Grund für die erhöhte venöse und arterielle Thromboembolieneigung bei ITP ist unklar. Veränderungen von Gerinnungs- und Fibrinolysefaktoren und die vermehrte Freisetzung von Mikropartikeln werden diskutiert. Das Risiko für Thromboembolien ist zusätzlich erhöht [48].

  • bei Nachweis von Lupus Antikoagulans oder Antiphospholipid Antikörpern

  • nach Splenektomie,

  • bei schnellem Thrombozytenanstieg unter Therapie (z.B. unter ivIG)

  • möglicherweise unter Therapie mit TRA

Auch andere, allgemeine Risikofaktoren wie Operationen, Thromboembolien in der Anamnese, Tumorerkrankungen, höheres Alter, Adipositas und Übergewicht sind beim ITP Pat. bedeutsam.

Studien, aus denen das thromboembolische Risiko für die zur Verfügung stehenden medikamentösen Therapieverfahren vergleichend abgeleitet werden können, liegen nicht vor.

Als Konsequenz sollten alle ITP- Pat. darüber aufgeklärt werden, dass ihre Erkrankung nicht nur das Blutungsrisiko, sondern auch das Risiko venöser und arterieller Thromboembolien erhöht. Sie sollten über die Symptome informiert sein und wissen, wann und wo sie sich ärztlich vorstellen müssen. Vorliegende Risikofaktoren (z.B. Rauchen, Bluthochdruck, Blutfettwerte, etc.) sind zu behandeln. Das individuelle Thromboembolierisiko sollte vor Einleitung der Zweitlinientherapie evaluiert werden. Falls möglich sollte bei deutlich erhöhtem Risikoprofil Substanzen wie Fostamatinib (Cave: Zulassung erst bei chronischer ITP) oder Rituximab (Cave: in Deutschland nicht zur Behandlung der ITP zugelassen) der Vorzug gegeben werden. Wenn beide Substanzen aufgrund der Zulassungsbeschränkungen nicht gegeben werden können, ist eine Therapie mit TRA der Dauertherapie mit Kortikosteroiden (länger als 6 Wochen) vorzuziehen.

Für die klinische Praxis wurde der TH2-Score entwickelt (Thrombosis and Thrombocytopenia Risk Assessment Score, siehe Tabelle 16. Er hilft bei der Einschätzung, ob ITP-Pat. eher ein erhöhtes Blutungs- oder ein erhöhtes Thromboserisiko trägt und ob eine Antikoagulation empfohlen oder davon abgeraten werden sollte [49],

Tabelle 16: TH2 Score zur Abwägung des Thrombose- und Blutungsrisikos 

Thromboserisikofaktoren

  • CHA₂DS₂-VASc Score > 5,

  • oder spontane oder rezidivierte oder tumor-assoziierte venöse Thromboembolie,

  • oder Antiphospholipid-Syndrom,

+1

  • Therapie mit IVIG in den letzten 2 Wochen,

  • Therapie mit TPO-RA in den letzten 4 Wochen,

  • oder Splenektomie in den letzten 4 Wochen.

+1

Blutungsrisikofaktoren

  • Thrombozyten < 20 x 109/L,

-1

  • Initial, d.h. vor Beginn einer Therapie, Blutungen WHO Grad ≥ 2 oder ITP-Bleeding Score* 2 (ausgenommen Hautblutungen)

-1

Score ≥ 0

Thromboserisiko überwiegt

Score < 0

Blutungsrisiko überwiegt

*ITP-Bleeding Score nach [50]

6.2.8Lebensqualität und Fatigue

ITP-Pat. berichten häufig von einer deutlich reduzierten Lebensqualität [5152]. Dies gilt besonders für den Anfang der Erkrankung, wenn Blutungssymptome noch häufig sind und die Pat. bzw. die Angehörigen erst lernen müssen, mit der Thrombozytopenie umzugehen. Mit zunehmender Erfahrung wird die Lebensqualität besser. Es wird der Situation von ITP-Pat. deshalb nicht gerecht, wenn man den Therapieerfolg allein an der Blutungsneigung und Thrombozytenzahl festmacht.

Nach Blutungssymptomen und Nebenwirkungen der Therapie klagen viele ITP-Pat. über Erschöpfungssymptome, Müdigkeit, bis hin zu depressiven Störungen („Fatigue“). Fatigue betrifft auch Kinder und Heranwachsende mit ITP [53]. Ein Zusammenhang zwischen ITP und kognitiven Funktionseinschränkungen wird beschrieben [54]. Eine aktuelle Untersuchung findet aber auch bei ITP-Pat. in der Bundesrepublik eine hohe Inzidenz von Fatigue [55]. Die Ursachen der ITP-assoziierten Fatigue sind nicht geklärt und wahrscheinlich multifaktoriell. Auch bei anderen Autoimmunerkrankungen sind Fatigue Symptome häufig. Einschränkungen der körperlichen Aktivität aufgrund der Thrombozytopenie, verminderte Teilhabe an sozialen Kontakten, Schlafstörungen und Stimmungsschwankungen, spielen wohl eine Rolle. Es besteht kein klarer Zusammenhang zwischen Thrombozytenzahl und Fatigue. Manche Pat. berichten über eine Verstärkung ihrer Symptome im Zusammenhang mit niedrigen Thrombozytenzahlen. Allerdings klagen viele Pat. auch nach Besserung der Thrombozytopenie über Fatigue.

Es fällt auf, dass Fatigue-Beschwerden in der älteren wissenschaftlichen Literatur zur ITP kaum bis gar nicht erwähnt wurden. Die Relevanz für die Lebensqualität von ITP-Pat. wird deshalb wahrscheinlich auch heute vielfach noch unterschätzt. Dazu kommt, dass erst in den letzten Jahren geeignete Instrumente zur Erfassung von Lebensqualität und Fatigue bei ITP-Pat. entwickelt wurden (für FACIT-ITP Fragebogen siehe https://www.facit.org/FACITOrg/Questionnaires). All diese Untersuchungen zeigen, dass eine Anhebung der Thrombozytenzahl die Lebensqualität von ITP-Pat. deutlich verbessert.

Behandelnde Ärzte sollten heute mehr Aufmerksamkeit auf Fatigue-Symptome richten, um dies frühzeitig zu erkennen. Zur Behandlung gibt es aktuell nur wenige Daten. Neben der erwähnten Anhebung der Thrombozytenzahl empfiehlt sich ein körperliches und mentales Training, analog den Empfehlungen der Deutschen Fatigue Gesellschaft für die tumorassoziierte Fatigue (https://deutsche-fatigue-gesellschaft.de/behandlung/koerperliches-und-mentales-training).

6.2.9Sport

ITP-Pat. können grundsätzlich Sport machen. Das individuelle Blutungsrisiko und die Sportart sollten mit dem Arzt besprochen werden. In Analogie zu Pat. mit anderen Hämorrhagien oder unter Antikoagulation wird man bei niedrigen Thrombozytenzahlen (<50 x 109/L) Kampf- und Kontaktsportarten wie Rugby, Fußball, Eishockey o. ä. vermeiden. Problemlos sind sicher Schwimmen, Fahrradfahren, Leichtathletik. Es gibt jedoch keine absolut sicheren oder unsicheren Sportarten, hier sind – wie überall - Augenmaß und Vorsicht gefordert.

7Rehabilitation

7.1Sozialrecht (gilt nur für die Bundesrepublik Deutschland)

Die Einschätzung des Grades der Behinderung (GdB) gem. Sozialgesetzbuch Neun (SGB IX – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen) richtet sich nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG) Teil B. Darin gibt es keine spezifischen Vorgaben für Pat. mit Thrombozytopenien. Die ITP wird unter die Gruppe der sonstigen Blutungsleiden subsumiert; nach Nr. 16.10 der VMG sind folgende Grade der Behinderungen vorgesehen, siehe Tabelle 17.

Tabelle 17: Grade der Behinderung  

Blutungsneigung

GdB

ohne wesentliche Auswirkungen

10

mäßige Auswirkungen

20-40

Starke Auswirkungen (starke Blutungen bereits bei leichten Traumata)

50-70

ständige klinisch manifeste Blutungsneigung (Spontanblutungen, Gefahr lebensbedrohlicher Blutungen)

80-100

Nach Auffassung der Rechtsprechung ist für die Einschätzung allein die tatsächliche Blutungsneigung ausschlaggebend und nicht die abstrakte Möglichkeit, dass es aufgrund niedriger Thrombozytenwerte in der Zukunft zu starken Blutungen kommen könnte.

8[Kapitel nicht relevant]

9[Kapitel nicht relevant]

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11Aktive Studien

VAYHIT1
Study of Ianalumab Versus Placebo in Addition to First-line Corticosteroids in Primary Immune Thrombocytopenia (ITP), Clinical Trials ID: NCT05653349

 

VAYHIT2
A Study of Efficacy and Safety of Ianalumab Versus Placebo in Addition to Eltrombopag in Primary Immune Thrombocytopenia Patients Who Failed Steroids; Clinical Trials ID: NCT05653219

 

Deutsches ITP Register, Clinical Trials ID: NCT05152238

12Therapieprotokolle

13Studienergebnisse

14Zulassungsstatus

16Anschriften der Experten

Dr. Rosa Sonja Alesci
IMD Gerinnungszentrum Hochtaunus
Zeppelinstr. 24
61352 Bad Homburg
PD Dr. med. Johanna Gebhart
Medizinische Universität Wien
Universitätsklinik für Innere Medizin
Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie
Währinger Gürtel 18-20
A-1090 Wien
PD Dr. med. Susanne Holzhauer
Charité, CVK
Klinik für Pädiatrie m.S. Onkologie und Hämatologie
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin
Dr. med. Marie Luise Hütter-Krönke
Charité- Campus Virchow Klinikum
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin
Prof. Dr. med. Thomas Kühne
Universitäts-Kinderspital beider Basel
Spitalstr. 33
CH-4056 Basel
Prof. Dr. med. Axel Matzdorff
Asklepios Klinikum Uckermark
Klinik für Innere Medizin II
Am Klinikum 1
16303 Schwedt
PD Dr. med. Oliver Meyer
Blutspendedienst der Landesverbände des DRK
Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen,
Oldenburg und Bremen, Institut Springe
Eldagsener Str. 28
31832 Springe
Prof. Dr. med. Helmut Ostermann
Klinikum der Universität München
Marchioninistr. 15
81377 München
Univ.-Prof. Dr. Ingrid Pabinger-Fasching
Allgemeines Krankenhaus Wien
Universitätsklinik für Innere Medizin I
Klinische Abt. für Hämatologie und Hämostaseologie
Währinger Gürtel 18-20
A-1090 Wien
Prof. Dr. med. Ulrich Sachs
Institut für Klinische Immunologie,
Transfusionsmedizin und Hämostaseologie
der Justus-Liebig-Universität
Langhansstr. 7
35392 Gießen
Dr. med. Thomas Stauch
Universitätsklinikum Jena
Klinik für Innere Medizin II
Am Klinikum 1
07747 Jena
Dr. med. Karolin Trautmann-Grill
Universitätsklinikum Dresden
Medizinische Klinik I
Fetscherstr. 74
01307 Dresden

17Offenlegung potentieller Interessenkonflikte

Autor*in Anstellung1 Beratung / Gutachten2 Aktien / Fonds3 Patent / Urheberrecht / Lizenz4 Honorare5 Finanzierung wissenschaftlicher Untersuchungen6 Andere finanzielle Beziehungen7 Persönliche Beziehung zu Vertretungsberechtigten8
Alesci, Rosa Sonja
MVZ IMD GmbH IMD Gerinnungszentrum Hochtaunus Belchenstrasse 1-5 68163 Mannheim
Ja
AdBoard Swedisch Orphan Biovitrium Amgen Grifols Sanofi Argenx
Nein
Nein
Ja
Swedisch Orphan Biovitrium Amgen Grifols Novartis Octapharma
Ja
Novartis AG, Forschungsprojekt Grifols NISS/PASS SOBI NISS/PASS Octapharma NISS/PASS
Ja
Reisekostenerstattung Swedish Orphan Biovitrium
Nein
Gebhart, Johanna
Medizinische Universität Wien
Ja
SOBI, Amgen, Novartis, CSL Behring
Nein
Nein
Ja
SOBI, Amgen, Novartis, CSL Behring
Ja
SOBI, Amgen, Novartis, CSL Behring, Takeda
Nein
Nein
Holzhauer, Susanne Eine Erklärung liegt noch nicht vor
Hütter-Krönke, Marie Luise Eine Erklärung liegt noch nicht vor
Kühne, Thomas
Universitäts-Kinderspital beider Basel, Schweiz
Ja
Advisory Boards (Dova, SOBI, UCB)
Nein
Nein
Ja
Vortragstätigkeit (SOBI, Novartis)
Ja
Research Funds (Amgen, Novartis)
Nein
Nein
Matzdorff, Axel
Asklepios Klinikum Uckermark
Ja
AMGEN, Argenix, Grifols, Novartis, Swedish Orphan Biovitrium, Roche, Sanofi, UCB Biopharma
Ja
Roche, Johnson&Johnson (Aktien, Familienbesitz)
Nein
Nein
Nein
Ja
AMGEN, Grifols, Novartis, Sanofi, Swedish Orphan Biovitrium, Roche,
Nein
Meyer, Oliver
Blutspendedienst der Landesverbände des DRK Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Oldenburg und Bremen gGmbH 31830 Springe Geschäftsführer
Ja
Novartis Pharma GmbH Amgen GmbH Grifols Deutschland GmbH Swedish Orphan Biovitrum GmbH
Nein
Nein
Ja
Novartis Pharma GmbH Amgen GmbH Grifols Deutschland GmbH Swedish Orphan Biovitrum GmbH
Nein
Nein
Nein
Ostermann, Helmut Eine Erklärung liegt noch nicht vor
Pabinger-Fasching, Ingrid
Medizinische Universität Wien
Ja
Sobi, CSL Behring
Nein
Nein
Ja
Sobi, CSL Behring, Takeda
Ja
Sobi, CSL Behring
Ja
Reisekostenunterstützung für Kongress: CSL Behring, Sobi, Takeda
Nein
Sachs, Ulrich
Justus-Liebig-Universität Gießen
Ja
SOBI (Ad Board) CSL Behring (Ad Board)
Nein
Nein
Ja
SOBI (Vortragstätigkeit) CSL Behring (Vortragstätigkeit) Siemens Healthineers (Vortragstätigkeit)
Ja
Octapharma (Forschungsvorhaben)
Ja
SOBI (Vortragstätigkeit) CSL Behring (Vortragstätigkeit)
Nein
Stauch, Thomas
Universitätsklinikum Jena
Ja
Amgen, Sobi, Sanofi, Argenx, Grifols
Nein
Nein
Ja
Amgen, Sobi, Grifols
Ja
Amgen, Sobi, Sanofi, Argenx, Grifols
Nein
Nein
Trautmann-Grill, Karolin
Universitätsklinikum Dresden, TU Dresden
Ja
Amgen, Argenx, Novartis, Grifols, GSK, Sanofi, Sobi
Nein
Nein
Ja
Amgen, GSK, Grifols, Novartis, Sobi, Roche, Takeda
Nein
Ja
CSL
Nein
1 - Gegenwärtiger Arbeitgeber, relevante frühere Arbeitgeber der letzten 3 Jahre (Institution/Ort)
2 - Tätigkeit als Berater*in bzw. Gutachter*in oder bezahlte Mitarbeit in einem wissenschaftlichen Beirat / Advisory Board eines Unternehmens der Gesundheitswirtschaft (z. B. Arzneimittelindustrie, Medizinproduktindustrie), eines kommerziell orientierten Auftragsinstituts oder einer Versicherung
3 - Besitz von Geschäftsanteilen, Aktien, Fonds mit Beteiligung von Unternehmen der Gesundheitswirtschaft
4 - Betrifft Arzneimittel und Medizinprodukte
5 - Honorare für Vortrags- und Schulungstätigkeiten oder bezahlte Autor*innen oder Koautor*innenschaften im Auftrag eines Unternehmens der Gesundheitswirtschaft, eines kommerziell orientierten Auftragsinstituts oder einer Versicherung
6 - Finanzielle Zuwendungen (Drittmittel) für Forschungsvorhaben oder direkte Finanzierung von Mitarbeiter*innen der Einrichtung von Seiten eines Unternehmens der Gesundheitswirtschaft, eines kommerziell orientierten Auftrags-instituts oder einer Versicherung
7 - Andere finanzielle Beziehungen, z. B. Geschenke, Reisekostenerstattungen, oder andere Zahlungen über 100 Euro außerhalb von Forschungsprojekten, wenn sie von einer Körperschaft gezahlt wurden, die eine Investition im Gegenstand der Untersuchung, eine Lizenz oder ein sonstiges kommerzielles Interesse am Gegenstand der Untersuchung hat
8 - Persönliche Beziehung zu einem/einer Vertretungsberechtigten eines Unternehmens der Gesundheitswirtschaft

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