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Polycythaemia Vera (PV)

ICD-10 D45
Stand August 2018
Dies ist nicht die aktuelle Version. Siehe: Polycythaemia Vera (PV)

1Zusammenfassung

Die Polycythaemia Vera ist eine chronische myeloproliferative Neoplasie. Die Erkrankung ist durch eine gesteigerte Produktion roter Blutzellen charakterisiert, die unabhängig von den normalen Regulationsmechanismen der Erythropoese stattfindet. Bei fast allen Patienten (etwa 98%) liegt eine Mutation im JAK2-Tyrosinkinase-Gen vor, woraus eine Proliferationssteigerung nicht nur der roten Reihe, sondern auch der Granulopoese und Megakaryopoese (sog. Panmyelose) resultiert. Bezüglich des Krankheitsverlaufes werden eine polyzythämische Phase mit einer gesteigerten Erythrozytenmasse und eine sog. ‚Spent Phase‘ bzw. Phase der postpolycythaemischen Myelofibrose mit reduzierter Bildung von Blutzellen unterschieden. Der natürliche Verlauf der Erkrankung schließt auch die mögliche Evolution in eine myelodysplastische/ präleukämische Phase und/oder Blastenphase (akute Leukämie) ein.

Häufigste Komplikationen sind arterielle und venöse Thrombosen. Gesicherte Risikofaktoren hierfür sind ein höheres Lebensalter und eine bereits stattgehabte Thrombose.

Bei günstiger Überlebensprognose ist die Therapie in erster Linie auf die Prävention der thromboembolischen Komplikationen ausgerichtet. Die primäre Therapie besteht aus einer Kombination von Aderlasstherapie zur Absenkung des Hämatokrits und der Hemmung der Thrombozytenaggregation durch Azetylsalizylsäure. Längerfristig benötigt der überwiegende Anteil der Patienten eine zytoreduktive Therapie zur Kontrolle der gesteigerten Myeloproliferation.

2Grundlagen

2.1Definition und Basisinformationen

Die Polycythaemia Vera (PV) gehört zu den chronischen myeloproliferativen Neoplasien (MPN, früher als chronische myeloproliferative Erkrankungen oder Syndrome bezeichnet) (siehe Onkopedia Myeloproliferative Neoplasien (MPN)). Neben der PV werden auch die essentielle Thrombozythämie (ET) und die primären Myelofibrose (PMF) zu den klassischen Philadelphia-Chromosom-negativen bzw. BCR-ABL-negativen MPN-Entitäten gezählt.

2.2Epidemiologie

Die PV ist eine seltene Erkrankung mit einer Inzidenz zwischen 0,4% und 2,8% pro 100 000 Einwohner pro Jahr in Europa. Das mediane Lebensalter bei Diagnosestellung liegt zwischen 60 und 65 Jahren. Das Geschlechterverhältnis ist ausgeglichen [12]. Die PV ist nach dem derzeitigen Wissensstand nicht vererbbar. Familiäre Häufungen kommen jedoch vor.

2.3Pathogenese

BCR-ABL-negative MPN sind erworbene klonale Erkrankungen der hämatopoetischen Stammzelle, die lebenslänglich persistieren. Bei etwa 98% der Patienten mit dem klinischen Bild einer PV lässt sich eine somatische Mutation im JAK2-Gen nachweisen (siehe Tabelle 1). Die JAK2-Mutationen gelten als Auslöser (‚driver mutation‘) der unkontrollierten Myeloproliferation.

Beim Gesunden dienen die JAK-Proteine als „Informationsübermittler“ zwischen Zytokin-bindenden Rezeptoren auf der Zelloberfläche und Signalmolekülen innerhalb der Zelle. Die JAK-Tyrosinkinasen haben eine wichtige Funktion hinsichtlich der Proliferationsregulation hämatopoetischer Zellen. Durch die Bindung spezifischer Zytokine bzw. Liganden (z.B. EPO, TPO, G-CSF, GM-CSF) an den jeweiligen Zytokin-Rezeptor werden die JAK2-Proteine in der Zelle phosphoryliert. Dies führt zu einer Aktivierung von Signalmolekülen, die im Zellkern die Proliferation hämatopoetischer Zellen aktivieren (JAK/STAT-Signalweg). Die JAK2 V617F-Mutation und andere Mutationen der JAK2-Tyrosinkinase (z.B. verschiedene Mutationen im Exon 12 des JAK2-Gens) führen zu einer Liganden-unabhängigen Aktivierung der Kinase was in einer unkontrollierten Proliferation hämatopoetischer Zellen resultiert. Im Falle der PV steht die gesteigerte, EPO-unabhängige Proliferation der Erythropoese im Vordergrund [35]. JAK2-Mutationen sind nicht spezifisch für die PV und werden auch bei ca. 50% der Patienten mit ET oder PMF gefunden. Im Gegensatz zur ET und PMF liegen bei der PV keine Mutationen im Calreticulin (CALR)- oder MPL-Gen (Thrombopoietin-Rezeptor-Gen) vor [67]. Bei etwa 2% der Patienten mit dem klinischen Bild einer PV lässt sich mit den Standardmethoden keine JAK2-„Driver“-Mutation nachweisen.

Zusätzlich zur JAK2-Mutation finden sich nicht selten weitere Genmutationen. Hierbei handelt es sich in der Regel um sog. ‚non-driver’ Mutationen (z.B. in den Genen TET2, ASXL1, EZH2, DNMT3A, IDH1/IDH2, SRSF2 u.a). Diese Mutationen sind nicht MPN-spezifisch, da sie auch bei anderen myeloischen Neoplasien vorliegen können. Eine höhere Mutationslast von JAK2 V617F-Allelen sowie eine ansteigende Anzahl von ‚non-driver‘ Mutationen korrelieren mit einem ungünstigeren klinischen Verlauf bei MPN, einschließlich der PV [8].

Tabelle 1: Klonale genetische Aberrationen bei der Polycythaemia Vera („Driver-Mutationen“) 

Gen

Mutation

Lokalisation

Häufigkeit bei PV

JAK2

JAK2 V617F

Exon 14

95%

JAK2

JAK2 Exon 12

Exon 12

ca. 3%

3Vorbeugung und Früherkennung

Zur Vorbeugung, Früherkennung und speziellen Risikofaktoren für die Krankheitsentstehung liegen keine Daten bzw. Empfehlungen vor. Bei familiären Häufungen von MPN, aber auch bei gehäuften weiteren Krebserkrankungen über mehrere (mindestens drei) Generationen, wird eine humangenetische Beratung empfohlen (vorzugsweise nach Rücksprache mit einer entsprechenden Einrichtung zur vorherigen Besprechung der individuellen Indikation).

4Klinisches Bild

4.1Symptome

Im frühen Krankheitsstadium stehen in der Regel klinische Symptome im Vordergrund, die durch die erhöhte Blutviskosität bedingt sind (z.B. gerötete Gesichtshaut, blau-rote Haut und Schleimhäute, Kopfdruck, Kopfschmerzen, Hypertonie). Zu den thromboembolischen Komplikationen tragen neben dem erhöhten Hämatokrit und der ggf. gesteigerten Leukozyten- und Thrombozytenzahl eine ganze Reihe weiterer thrombogener und inflammatorischer Mechanismen bei, die zusätzlich eine Aktivierung von Gefäßendothel, Gerinnungssystem, Leukozyten und Thrombozyten bewirken können [1910].

Das Spektrum an klinischen Symptomen ist vielfältig und ändert sich nicht selten im Verlaufe der Erkrankung. Mikrozirkulationsstörungen führen häufig zu charakteristischen klinischen Symptomen (z. B. Sehstörungen, Parästhesien, Erythromelalgie). Im Bereich der größeren Gefäße überwiegen kardiale und zerebrale arterielle Gefäßverschlüsse und periphere Venenthrombosen. Weniger häufig, aber für die PV und andere MPN nicht ungewöhnlich, sind abdominelle Venenthrombosen und Thrombosen im venösen Cerebralsinus [1113] (siehe Kapitel 5.2.1.3). In höherem Lebensalter sowie bei bereits abgelaufenen Thromboembolien nimmt das Risiko für Thrombosen weiter zu. Schwere Blutungen sind selten und werden durch eine hohe Thrombozytenzahl und das damit verbundene erworbene von Willebrand-Syndrom begünstigt [1]. An klinischen Symptomen, welche die Lebensqualität stark beeinträchtigen können, sind Müdigkeit/Erschöpfung (Fatigue) und der oft quälende Pruritus (bei bis zu 70% der Patienten, vor allem ausgelöst durch Kontakt mit Wasser oder Reibung), hervorzuheben [1415].

4.2Krankheitsverlauf

Der natürliche Krankheitsverlauf der PV umfasst verschiedene Stadien.

  1. Chronische (polyzythämische) Phase:
    Die in der Regel über Jahre anhaltende chronische Phase ist durch die klinischen Merkmale der gesteigerten Myeloproliferation charakterisiert, welche in den meisten Fällen alle drei Zellreihen (Erythropoese, Megakaryopoese, Granulopoese) betrifft und von einer zunehmenden Splenomegalie begleitet ist. Die Proliferation der Erythropoese steht hierbei im Vordergrund und bestimmt das klinische Bild. Häufigste und potenziell bedrohliche Komplikationen sind arterielle oder venöse Thromboembolien bei bis zu 40% der Patienten [1]. Bei unbehandelter PV stellen sie mit über 60% der Todesfälle die häufigste Todesursache dar [16].

  2. Spätphase:
    Das Hauptproblem der Spätphase ist der Übergang in eine sog. ‚Spent Phase‘ (Rückgang der Erythrozytose, Zunahme der Splenomegalie, verbunden mit korrespondierenden Veränderungen des Knochenmarkes), welche von einer Transformation in eine (sekundäre) Post-PV-Myelofibrose (MF) und/oder eine akute Leukämie gefolgt sein kann. Die Gesamtrate an Post-PV-MF liegt nach einer medianen Beobachtungszeit von 10 Jahren bei etwa 15%, nach 20 Jahren bei 50%. Der direkte Übergang in eine akute Leukämie ist selten (4%), während etwa 20% der Patienten mit Post-PV MF in eine AML transformieren [1720].

5Diagnose

5.1Diagnose-Kriterien

5.1.1Diagnose-Kriterien der PV

Die Diagnose der PV wird auf der Basis der aktualisierten WHO-Kriterien aus dem Jahre 2016 gestellt (siehe Tabelle 2) [21].

Tabelle 2: Diagnosekriterien der PV, WHO 2016 [21] 

Hauptkriterien

A1 Hb>16,5 g/dl Männer (M)/ >16,0 g/dl Frauen (F) oder Hämatokrit >49% M/ >48% F 1,2

A2 Trilineäre Myeloproliferation mit pleomorpher Megakaryopoese

A3 Nachweis einer Mutation im JAK2-Gen (JAK2 V617F oder Exon 12 Mutation)

Nebenkriterium

B1 Erniedrigter Erythropoietin-Spiegel

Die Diagnose PV erfordert entweder alle drei Hauptkriterien oder die ersten beiden Hauptkriterien und das Nebenkriterium.

1 Bei Fällen mit persistierender Erythrozytose (Männer: Hämoglobin >18.5 g/% oder Hämatokrit >55.5%, Frauen: Hämoglobin >16.5 g% oder Hämatokrit >49.5%) ist der Verzicht auf eine Knochenmarkbiopsie möglich, wenn eine JAK2-Mutation (Hauptkriterium 3) nachgewiesen wurde und der Erythropoietinspiegel (Nebenkriterium) erniedrigt ist.2  Die Bestimmung der Erythrozytenmasse mit 51Cr-markierten Erythrozyten erlaubt die Abgrenzung zwischen echter Polyglobulie und Pseudopolyglobulie. Diese Methode gehört in Deutschland nicht zur Routine. Die in den WHO-Kriterien definierten geschlechtsspezifischen Schwellenwerte für Hämoglobin haben sich in Deutschland nur begrenzt etabliert. Relativ weit verbreitet, wird bei Männern und Frauen einheitlich ein erhöhter Hämatokrit herangezogen.

Wichtige Änderungen in der aktuellen WHO-Klassifikation (im Vergleich zur vorausgegangenen Version WHO 2008) stellen die Senkung der Grenzwerte von Hämoglobin und Hämatokrit und die Aufwertung der jetzt obligaten Knochenmarkhistologie als Hauptkriterium dar. Dies erlaubt den Einschluss von Fällen mit sogenannter maskierter PV, welche die vormalige Höhe (WHO 2008) von Hämatokrit oder Hämoglobin nicht erreichen, jedoch nach dem Befund der Knochenmarkhistologie als PV einzustufen sind [22].

Auch bei der Abgrenzung der PV gegenüber einer JAK2-positiven ET, die in manchen Fällen die für PV definierten Grenzwerte von Hämatokrit oder Hämoglobin erreichen bzw. überschreiten kann, sowie vom hyperproliferativen Stadium der PMF, leistet die Knochenmarkhistologie in der Hand des geübten Pathologen einen essentiellen, klinisch relevanten Beitrag [23]. Der nicht ubiquitär verfügbare Nachweis von endogenen erythroiden Kolonien in vitro wurde aus der Liste der Nebenkriterien herausgenommen. In unklaren Situationen kann dieser jedoch hilfreich sein.

5.1.2Diagnose-Kriterien der Post-PV-Myelofibrose

Für die Definition der Post-PV-MF wurden von der WHO die Empfehlungen der internationalen Arbeitsgruppe für Myelofibrose (International Working Group for Research and Treatment of Myelofibrosis) übernommen (Tabelle 3) [24]. Auf weitere Aspekte der Post-PV-MF wird in der Onkopedia Leitlinie Primäre Myelofibrose eingegangen.

Tabelle 3: Diagnosekriterien der Post-PV-Myelofibrose, WHO 2016 [21] 

Erforderliche Kriterien

1) Dokumentation der vorausgegangenen Diagnose PV nach WHO Kriterien

2) Knochenmarkfibrose Grad 2 bis 3 (auf einer Skala 0 bis 3)
Grad 3 bis 4 (auf einer Skala 0 bis 4)

Zusätzliche Kriterien (zwei erforderlich)

1) Anämie1 oder

nicht mehr erforderliche Aderlasstherapie (ohne zytoreduktive Therapie) oder
nicht mehr erforderliche zytoreduktive Therapie zur Reduktion der Erythrozytose

2) Leukoerythroblastisches Blutbild

3) Zunehmende Splenomegalie
(definiert entweder als Zunahme einer vergrößerten Milz von >5 cm unterhalb des
linken Rippenbogens oder als neu diagnostizierte palpable Milzvergrößerung)

4) Entwicklung von 2 oder allen 3 der folgenden konstitutionellen Symptome:
>10% Gewichtsverlust in 6 Monaten, Nachtschweiß, ätiologisch ungeklärtes Fieber
(>37,5 Grad Celsius)

1 unterhalb der Referenzwerte für Alter, Geschlecht und Anpassung an die entsprechende Höhe über dem Meeresspiegel

5.2Diagnostik

5.2.1Erstdiagnose

Zur primären Weichenstellung der Diagnostik ist anhand der klinischen Befunde und der Laborwerte abzuschätzen, ob eine sekundäre Erythrozytose oder eine PV vorliegt. Hierbei sind eine gezielte allgemein internistische Anamnese und Verlaufswerte des Blutbildes über möglichst lange vorausgehende Zeiträume zumeist richtungsweisend. Weisen die klinischen und laborchemischen Befunde eindeutig in die Richtung einer sekundären (reaktiven) Erythrozytose, so wird die entsprechende Grunderkrankung internistisch abgeklärt und behandelt. Der empfohlene diagnostische Algorithmus bei Erythrozytose ist in Abbildung 1 dargestellt.

Abbildung 1: Algorithmus zum diagnostischen Vorgehen 
5.2.1.1Allgemeine Diagnostik

Gezielte Anamnese:

Kopfdruck, Schwindel, arterielle oder venöse Thromboembolien (aktuell oder in der Vorgeschichte), Mikrozirkulationsstörungen (insb. Sehstörungen, Parästhesien, Erythromelalgie), Pruritus (überwiegend aquagen), Blutungen, Hinweise auf Risikofaktoren für Gefäßkomplikationen (Nikotinkonsum, bekannte Hypertonie, Diabetes mellitus, Hypercholesterinämie), Hinweise auf Herz- oder Lungenkrankheiten oder auf maligne Tumoren, Möglichkeit unkontrollierter Testosteroneinnahme oder von Doping beachten (siehe auch Tabelle 6).

Körperliche Untersuchung:

Milz- und Lebergröße, Hinweise auf Mikrozirkulationsstörungen, Hinweise auf kardio-pulmonale Erkrankungen, Hautinspektion.

Labor (obligat):

Blutbild einschließlich Differenzialblutbild, BSG oder CRP, LDH, Ferritin, Harnsäure, Erythropoietin.

Weitere empfohlene Untersuchungen:

  • BSG oder CRP, Quick, PTT, AST, ALT, γGT, alkalische Phosphatase, Bilirubin

  • Arterielle Blutgasanalyse

  • Sonographie des Abdomens

  • Röntgenuntersuchung des Thorax

  • EKG, Echokardiogramm, Lungenfunktionsprüfung

  • Thrombophilie-Screening bei stattgehabter Thrombose

5.2.1.2Spezielle hämatologische Diagnostik

Bei Verdacht auf eine MPN, insbesondere PV (Erythrozytose, gleichzeitige Leukozytose und/oder Thrombozytose und/oder Splenomegalie, Linksverschiebung und/oder einzelne Erythroblasten im Blutausstrich) ist eine spezielle hämatologische Diagnostik mit Screening auf eine JAK2-Mutation, bzw. eine der anderen ‚Driver‘ Mutationen (CALR, MPL) erforderlich.

  • Molekulargenetik: Bestimmung molekularer Marker (‚Driver’ Mutationen), primär der JAK2 V617F Mutation. Wenn negativ, Screening auf JAK2 Exon 12-Mutationen. CALR- und MPL-Mutationen nur, wenn keine Mutation im JAK2 Gen vorliegt. BCR-ABL-Fusionsgen nur, wenn alle genannten Marker negativ sind oder wenn der Verdacht auf eine CML als sekundäre Erkrankung besteht.
    Weitere ‚non-driver‘ Mutationen (z.B. TET2, ASXL1, EZH2, DNMT3A, IDH1/IDH2, SRSF2 u.a.) finden wegen ihrer möglichen prognostischen Bedeutung auch bei der PV zunehmend Beachtung, gehören aber bisher nicht zum diagnostischen Routineprogramm.

  • Knochenmark: Aspirationszytologie und Knochenmarkhistologie mit Eisen- und Faserfärbung (möglichst Mitbeurteilung in einem Referenzzentrum) (siehe Tabelle 2).

  • Bei nach Durchführung der vorangegangenen Diagnostik weiterhin ungeklärter Erythrozytose: ggf. Untersuchungen zum Nachweis bzw. Ausschluss seltener angeborener Ursachen von Erythrozytosen (siehe Tabelle 6).

  • Bei venösen Thrombosen in ungewöhnlichen Lokalisationen (siehe Kapitel 5.2.1.3): Molekulares Screening auf Mutation im JAK2-Gen, wenn negativ, Screening auf weitere ‚driver‘ Mutationen und (differenzialdiagnostisch) auch PNH-Screening (paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie) und Thrombophilie-Screening empfohlen.

5.2.1.3Vaskuläre Komplikationen in ungewöhnlichen Lokalisationen

Besondere Aufmerksamkeit ist dem Ausschluss bzw. der Diagnosesicherung einer MPN bei venösen Thrombosen in ungewöhnlichen Lokalisationen zu schenken.

Abdominelle Thrombosen, insbesondere der Pfortader, Milzvene oder Lebervenen (Budd-Chiari Syndrom), aber auch der Mesenterial- und Nierenvenen können Erstmanifestation einer MPN sein. Insbesondere bei MPN-Patienten mit Lebervenen- oder Pfortaderthrombose sind die Laborbefunde oft nicht wegweisend, da das klinische Bild der MPN und die Laborparameter (Blutbild) sekundär durch die Folgen der vaskulären Erkrankung (portale Hypertension mit Ascites, Leberzirrhose, Blutungen, Splenomegalie) überlagert werden kann, siehe Tabelle 4 [11].

Die zu Grunde liegende MPN wird deshalb häufig primär nicht erkannt. In Metaanalysen größerer Patientenkollektive mit viszeralen Thrombosen konnte in etwa 40% der Fälle die JAK2 V617F-Mutation nachgewiesen werden [12]. Aus diesem Grund sollte bei abdominellen Thrombosen routinemäßig ein Screening auf eine JAK2-Mutation bzw. eine der anderen ‚Driver‘ Mutationen durchgeführt werden. Bei Patienten mit viszeralen Thrombosen ohne klonalen Marker kann der Ausschluss bzw. Nachweis einer MPN schwierig sein [11].

Weitere Lokalisationen von Gefäßkomplikationen mit deutlich geringerer Prävalenz einer zu Grunde liegenden MPN umfassen die zerebrale Sinusvenenthrombose und (noch seltener) die retinale Venenthrombose. Auch hier kann der Nachweis eines klonalen Markers anfänglich der einzige Hinweis auf eine MPN sein [13].

Tabelle 4: Zuverlässigkeit diagnostischer Marker bei PV-Patienten mit Budd-Chiari Syndrom oder Pfortader-/ Milzvenenthrombose [11] 

Kriterium

Problem

Nachweis der JAK2 V617F-Mutation oder eines anderen klonalen Markers

bei MPN ohne klonalen Marker (‚triple negative‘) nicht diagnostisch wegweisend

Erhöhte erythrozytäre Zellmasse

nicht allgemein verfügbar, keine Routinemethode

Panmyelose des Knochenmarkes

ggf. schwierig von KM-Veränderungen bei Splenomegalie (Hypersplenie) abgrenzbar

Erhöhte Zellzahlen im peripheren Blut

unzuverlässig, da nicht immer vorhanden

Erniedrigter EPO-Spiegel im Serum

kann normal sein

Splenomegalie

eingeschränkte diagnostische Aussagefähigkeit (Splenomegalie kann durch portale Hypertension bedingt sein)

5.3Klassifikation

Die Diagnosestellung der PV erfolgt nach der aktuellen WHO-Klassifikation (Kapitel 5.1.1) [21]. Eine Unterteilung in Subgruppen ist bei der PV nicht vorhanden. Die Diagnosekriterien der Post-PV-Myelofibrose sind ebenfalls in der WHO-Klassifikation beschrieben. (Kapitel 5.1.2).

5.4Prognostische Faktoren

Die Lebenserwartung bei gänzlich unbehandelter PV ist aufgrund von Gefäßkomplikationen massiv eingeschränkt (mediane Überlebenszeit ca.1½ Jahre) [16]. Bei guter Kontrolle der Erkrankung lag die mediane Überlebenswahrscheinlichkeit in einer retrospektiven Analyse von 1545 PV-Patienten bei knapp 19 Jahren [20].

In neueren Publikationen wurden anhand retrospektiver Analysen verschiedene Prognose-Scores für das Überleben dargestellt. Bei erheblicher Divergenz dieser Scores [2025] erfolgt die Risikostratifizierung für Therapieentscheidungen jedoch weiterhin nach dem Thromboserisiko. Hier wird zwischen einem hohen und einem niedrigen Thromboserisiko unterschieden (Tabelle 5). Gesicherte Risikofaktoren für Thromboembolien und Hauptstratifizierungsparameter sind höheres Alter (≥60 Jahre) und eine bereits stattgehabte arterielle oder venöse Thrombose [2627].

Nach einer neueren Risikoeinteilung können jüngere Patienten ohne Thrombose bei Vorliegen kardiovaskulärer Risikofaktoren oder Leukozytose einer intermediären Risikogruppe zugeordnet werden (bisher nicht validiert) [27].

Tabelle 5: Risikostratifizierung der PV  

Niedriges Risiko

Alter <60 Jahre, keine Thromboembolie (im Gesamtverlauf)

Hohes Risiko

Alter ≥60 Jahre und/oder Thromboembolie (im Gesamtverlauf)

5.5Differenzialdiagnose

Die Abgrenzung der PV hat gegenüber anderen MPN mit gesteigerter Erythrozytenzahl und gegenüber reaktiven (sekundären) Erythrozytosen zu erfolgen. Die stringente Anwendung der WHO Kriterien 2016 erlaubt in der Regel eine Abgrenzung der verschiedenen Entitäten von MPN. Bei Fällen, welche die Positivkriterien der WHO-Klassifikation nicht komplett erfüllen, ergibt sich die exakte Zuordnung zumeist durch den klinischen Verlauf. Übergänge zwischen den Entitäten der MPN sind möglich. Angeborene (sporadische oder familiäre) Formen von primärer Erythrozytose sind extrem selten.

Fälle von PV mit reiner Erythrozytose (charakteristisch für Mutationen im Exon 12 des JAK2-Gens) sind bezüglich ihres differenzialdiagnostischen Abgrenzungsbedarfes von sekundären Erythrozytosen besonders hervorzuheben [5].

Tabelle 6: Differenzialdiagnose der PV  

Differenzialdiagnose

Kommentar

Myeloproliferative Neoplasien

Essentielle Thrombozythämie

Vor allem bei JAK2 V617F-positiven Formen können erhöhte Werte von Hämoglobin und Hämatokrit vorliegen

Primäre Myelofibrose

Im hyperproliferativen Frühstadium kann eine Proliferation aller drei Zellreihen einschließlich einer Erythrozytose vorliegen. Eine mäßig ausgeprägte Markfibrose ist auch bei PV möglich, was die Abgrenzbarkeit erschweren kann

Reaktive Erythrozytosen

Erythrozytose durch Verminderung des Plasmavolumens

Pseudopolyglobulie mit Erhöhung der Erythrozytenzahl bei Stress oder schwerer Exsikkose

Erythrozytose bei starkem Nikotinkonsum

ausgelöst durch einen erhöhten Anteil von Kohlenmonoxid-Hämoglobin

Erworbene sekundäre Erythrozytose

infolge arterieller Hypoxie bei chronischen Herz- und Lungenerkrankungen, bei Schlaf-Apnoe-Syndrom oder bei Tumorerkrankungen mit paraneoplastischer EPO-Produktion und bei medikamentös induzierter Polyglobulie (z.B. Testosteron), Zustand nach Nierentransplantation, Doping

Seltene angeborene Ursachen von Erythrozytosen

  • Erythropoietinrezeptor-Mutationen, die zur erhöhten EPO-Sensitivität erythroider Vorläufer führen;

  • VHL-Mutation mit gestörter EPO-Genregulation (Chuvash-Polyzythämie),

  • EGLN1 (PHD2)-EPAS1 (HIF2A)-Mutationen

  • Hämoglobinopathie mit erhöhter Sauerstoffaffinität oder 2,3-DPG-Mangel (z.B. 2,3-DPG-Mutase-Defizienz),

  • Störungen der Hämoglobinbildung bei normaler O2-Affinität des Hämoglobins (heterozygote beta-Thalassämie, alpha-Thalassämia minor, leichte Eisenmangelanämien; Hämoglobinkonzentration, Hämatokrit und mittleres Erythrozytenvolumen sind hier vermindert)

6Therapie

6.1Therapiestruktur

Die Therapieziele sind in der Regel palliativ. Die Therapiestratifizierung erfolgt in Abhängigkeit vom Thromboserisiko (Tabelle 5) und ist in erster Linie auf die Prävention primärer oder nachfolgender arterieller oder venöser Gefäßverschlüsse ausgerichtet. Eine gute Symptomkontrolle ist in der Regel mit einer Verbesserung der Lebensqualität verbunden.

Haupttherapieziele sind:

  • Reduktion des Risikos für Thromboembolien

  • Kontrolle von klinischen Symptomen

  • Aufschub bzw. Vermeidung der späten Komplikationen (Myelofibrose und MDS/akute Leukämie).

Die empfohlene Therapie für alle Patienten ist die Kombination von Aderlässen mit niedrig dosierter Acetylsalizylsäure. Bei Hochrisiko-Patienten und bei Niedrig-Risiko-Patienten mit deutlicher Krankheitsprogression im Verlauf (siehe Kapitel 6.2.4.1) wird eine zytoreduktive Therapie empfohlen [2627]. Ein Therapiealgorithmus entsprechend den aktuellen Empfehlungen des European LeukemiaNET (ELN) ist in Abbildung 2 dargestellt [27].

Abbildung 2: Algorithmus zum therapeutischen Vorgehen 
ASS: Azetylsalizylsäure, IFN: Interferon.1  Aderlass zur Hämatokriteinstellung unter 45%, 2  IFN alpha (vorzugsweise pegyliertes IFN alpha) wird international empfohlen, ist aber bisher nicht für diese Indikation zugelassen [27],3  Zulassung von Ruxolitinib bei Intoleranz oder Resistenz gegenüber Hydroxyurea,4  Busulfan nur bei Patienten in fortgeschrittenem Lebensalter.

6.2Therapiemodalitäten

6.2.1Allgemeine Maßnahmen

Gewichtsnormalisierung, regelmäßige Bewegung, Vermeiden von Exsikkose und langem Sitzen (ggf. Kompressionsstrümpfe, insbesondere bei Reisen), Reduktion von Risikofaktoren und effektive Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen, kein Nikotinkonsum.

6.2.2Aderlass

Aderlässe sind die schnellste und einfachste Maßnahme zur Absenkung des Hämatokrit und der Beseitigung der Hyperviskosität. Empfohlen werden isovolämische Aderlässe von 500 ml (bei Beginn evtl. von 300 ml) je nach individueller Verträglichkeit ein- bis zweimal pro Woche, bis der Hämatokrit (geschlechtsunabhängig) unter 45% eingestellt ist [27]. Wie durch eine randomisierte Studie belegt wurde (CYTO-PV Studie), konnte durch eine stringente Einstellung des Hämatokrit unter 45% und eine Kontrolle der Leukozytenzahl eine signifikante Absenkung der Thromboembolierate erreicht werden. Damit verbunden war auch eine Reduktion der kardiovaskulären und durch andere größere thrombotische Ereignisse verursachten Mortalität [2829]. Die im Verlauf erforderliche Aderlassfrequenz ist den Hämatokrit-Werten individuell anzupassen. Gelegentliche Aderlässe können ergänzend zur zytoreduktiven Therapie erforderlich sein, um den Hämatokrit im gewünschten Bereich zu halten, falls eine Änderung der zytoreduktiven Therapie nicht möglich oder geboten erscheint.

Der immer eintretende Eisenmangel ist „erwünscht“ und wird nicht substituiert. In Ausnahmefällen, keinesfalls routinemäßig, kann bei symptomatischem Eisenmangel unter strenger Indikationsstellung und engmaschiger Laborkontrolle eine vorsichtige, orale Eisensubstitution durchgeführt werden. Der zunehmende Eisenmangel ist nicht selten von einem Thrombozytenanstieg begleitet.

Als Alternative zu Aderlässen kann die Erythrozytapherese eingesetzt werden. Ihre Durchführung ist nur an dafür ausgestatteten Einrichtungen möglich.

6.2.3Thrombozytenaggregationshemmer

Niedrig dosierte Azetylsalizylsäure (‚low dose Aspirin‘, ASS) 100 mg/Tag, ist bei Patienten ohne Kontraindikationen gegen das Medikament (Ulkusanamnese, vorausgegangene Blutungskomplikationen u.a.) zur Primärprophylaxe von Thrombosen indiziert, unabhängig davon ob gleichzeitig eine zytoreduktive Therapie durchgeführt wird [4]. Periphere und zerebrale Mikrozirkulationsstörungen sind eine symptombezogene Indikation für ASS [30].

Bei einer Thrombozytenzahl über 1 Million/µl sollte ASS wegen des erhöhten Blutungsrisikos erst nach einer medikamentösen Absenkung der Thrombozytenzahl (wünschenswert unter 600 000/µl) verabreicht werden. Manche Institutionen schließen die Höhe der von Willebrand Faktor-Aktivität in die Entscheidung bzgl. des Therapiebeginns von ASS ein.

Zum Einsatz anderer Thrombozytenaggregationshemmer (z.B. ADP-Antagonisten) gibt es positive Erfahrungen an individuellen Fällen, aber keine gesicherten Daten.

6.2.4Zytoreduktive Therapie

Bereits stattgehabte Thromboembolien und höheres Lebensalter (über 60 bzw. 65 Jahre) sind gesicherte Risikofaktoren für das Auftreten von Gefäßkomplikationen. Jeder dieser Parameter stellt primär eine Indikation zur Einleitung einer zytoreduktiven Therapie dar (Hochrisiko-Patienten).

Auch bei Niedrig-Risiko-Patienten können sich im Krankheitsverlauf Gründe ergeben, eine zytoreduktive Therapie zu beginnen oder diese in Betracht zu ziehen. Diese umfassen insbesondere die Progression der Myeloproliferation, ein steigendes Risiko für Thromboembolien und Blutungen sowie anderweitig nicht kontrollierbare belastende klinische Symptome [262731]. Mit Ausnahme von neu aufgetretenen Thrombosen stellen die im Kapitel 6.2.4.1 dargestellten Parameter jedoch keine zwingende Indikation für die Einleitung einer zytoreduktiven Therapie dar. Auch hinsichtlich der Zeichen der Progression der Myeloproliferation gibt es keine exakten Schwellenwerte für den Beginn einer zytoreduktiven Therapie, sodass hier auch die individuelle Proliferationskinetik zu berücksichtigen ist. Die in der Praxis empfohlenen Parameter sind nachfolgend zusammengefasst [27].

6.2.4.1Parameter zur Einleitung einer zytoreduktiven Therapie

Zeichen der Progression der Myeloproliferation

  • Zunahme der Milzgröße oder symptomatische Splenomegalie

  • Thrombozytenanstieg auf > 1 000 000/µl

  • Leukozytenanstieg auf > 10 000/µl bis > 15 000/µl oder höher

  • Häufige bzw. zunehmende Aderlassfrequenz

Gesteigertes/zunehmendes Risiko für Thromboembolien und Blutung und nicht kontrollierbare belastende klinische Symptome

  • Im Verlauf neu aufgetretene Thromboembolien

  • Hämorrhagische Komplikationen

  • Mikrozirkulationsstörungen trotz ASS

  • Eingeschränkte Durchführbarkeit von Aderlässen

  • Symptomatischer Eisenmangel, der eine Fortführung der Aderlässe nicht erlaubt

  • Unkontrollierter Hämatokritanstieg, falls Eisensubstitution unumgänglich ist

  • Schwere bzw. den Patienten belastende krankheitsbedingte Symptome

6.2.4.2Zytoreduktive Therapieformen
6.2.4.2.1Primärtherapie

Die von Seiten der ELN-Expertengruppe empfohlene zytoreduktive Primärtherapie ist Hydroxyurea (Hydroxycarbamid) oder Interferon alpha (siehe Abbildung 1) [27]. Die (insbesondere anfänglich) ggf. notwendige Fortführung der Aderlasstherapie ist von den individuellen Blutwerten abhängig zu machen.

Hydroxyurea (Anfangsdosis: 15-20 mg/kg KG/Tag). Eine individuelle Anpassung an die Blutwerte ist vorzunehmen. Im Rahmen des European LeukemiaNET wurden Kriterien zur Bewertung des Therapieansprechens auf zytoreduktive Therapie sowie von Resistenz und Intoleranz von Hydroxyurea erarbeitet (siehe Tabelle 7). Diese stellen Konsensusempfehlungen dar und sollen Hilfestellung bei der Bewertung des Therapieansprechens und bei eventuell erforderlichem Therapiewechsel geben [3233].

Interferon alpha (IFN): IFN wird von der ELN-Expertengruppe für die Primärtherapie der PV ohne definiertes Alterslimit alternativ zu Hydroxyurea empfohlen [27]. Eine besondere Zielgruppe für IFN sind jüngere Patienten mit Kinderwunsch. Die herkömmliche Form von IFN (Anfangsdosis: 3 x 3 Mio. IE/Woche s.c.) wurde weitgehend von der pegylierten Form abgelöst. Die Anpassung der IFN-Dosis erfolgt nach Blutbild und Verträglichkeit [34]. Im Handel verfügbares pegyliertes Interferon wird nur einmal wöchentlich verabreicht (IFN alfa 2a, Pegasys®, durchschnittliche Dosierung 90µg pro Woche) Hauptproblem von IFN ist die oft eingeschränkte Verträglichkeit, die nicht selten zum Therapieabbruch führt [3435]. Eine neue, bisher nur in Studien eingesetzte Form des pegylierten IFN (Ropeginterferon alfa-2b) mit längerer Wirkdauer erlaubt eine Applikation in 14-tägigem Abstand [3637]. Die Zweijahresdaten einer randomisierten Studie bei unbehandelten oder mit Hydroxyurea vorbehandelten Patienten zeigten eine signifikante Überlegenheit von Ropeginterferon gegenüber Hydroxyurea oder bester verfügbarer Therapie (BAT) hinsichtlich der Rate an kompletter hämatologischer Remission sowie der Reduktion der Allel-Last. Herkömmliches und pegyliertes IFN sind für die Therapie der MPN nicht zugelassen (siehe Anlage Zulassungsstatus). Die Zulassung von Ropeginterferon ist für die Therapie der PV bei der EMA beantragt.

Tabelle 7: ELN-Definition der Resistenz oder Intoleranz gegenüber Hydroxyurea (HU) bei PV [32] 
  1. Aderlassbedürftigkeit nach 3-monatiger Therapie mit mindestens 2g HU/Tag, um den Hämatokrit unter 45% zu halten oder

  1. Unkontrollierte Myeloproliferation (d.h. Thrombozyten >400 000/µl oder Leukozyten >10 000/µl) nach 3 Monaten Therapie mit mindestens 2g HU/Tag oder

  1. Milzgrößenreduktion unter 50% bei massiver1 Splenomegalie (Beurteilung durch Palpation) oder unvollständiges Verschwinden von durch die Splenomegalie bedingten Symptomen nach 3-monatiger Therapie mit mindestens 2g HU/Tag oder

  1. Absolute Neutrophilenzahl <1 000/µl oder Thrombozytenzahl <100 000/µl oder Hämoglobin <10g/dl mit der niedrigsten Dosis von HU, die erforderlich ist, um ein komplettes2 oder partielles3 klinisch-hämatologisches Ansprechen zu erzielen oder

  1. Ulcera an den Beinen oder andere inakzeptable HU-bedingte nicht-hämatologische Toxizitäten, wie andere Manifestationen an Haut oder Schleimhäuten, gastrointestinale Symptome, Pneumonitis oder Fieber unabhängig von der Dosierung von HU.

1 Milz >10 cm unter dem Rippenbogen,2  Hämatokrit <45% ohne Aderlasstherapie, Thrombozyten ≤400 000/µl, Leukozyten, ≤10 000/µl und keine krankheitsbedingten Symptome,3  Hämatokrit <45% ohne Aderlasstherapie oder Ansprechen von mehr als drei anderen Kriterien.
6.2.4.2.2Zweitlinientherapie

Bei Resistenz oder Intoleranz (Tabelle 7) gegenüber der Primärtherapie, aber auch bei schweren, durch die Primärtherapie nicht beherrschbaren klinischen Symptomen (z.B. hartnäckiger Pruritus u.a.) ist eine Therapieumstellung indiziert. Konventionelle Zweitlinientherapien waren in der Vergangenheit auf den Wechsel von Hydroxyurea auf IFN und umgekehrt beschränkt. Mit Ruxolitinib steht nun erstmals alternativ ein Tyrosinkinaseinhibitor (TKI) zur Verfügung, der für Patienten mit HU-resistenter oder -intoleranter PV zugelassen ist (Abbildung 2).

Ruxolitinib (JAK1/JAK2-Inhibitor) ist der bislang einzige bei PV zugelassene TKI. Die Zulassung von Ruxolitinib erfolgte für die Behandlung von Patienten mit PV, die gegenüber Hydroxyurea resistent oder intolerant waren (initiale, im Verlauf zu adaptierende Dosis 2x10 mg/Tag) (Abbildung 2 und Anhang Zulassungsstatus). Ruxolitinib führte in dieser Patientengruppe zu einer Kontrolle der gesteigerten Myeloproliferation (insbesondere des Hämatokrit und der Milzgröße) bei insgesamt guter Verträglichkeit. Mehr als die Hälfte der Patienten erreichte eine Aderlassfreiheit. Hervorzuheben ist auch die Rückbildung vieler mit PV assoziierter Symptome, insbesondere von Fatigue und Pruritus. Die Wirkung tritt in der Mehrzahl der Patienten sehr rasch, innerhalb der ersten 4 Wochen ein. Auf das mögliche Auftreten von Hauttumoren und Infekten sollte geachtet werden [3840].

Busulfan sollte wegen des leukämogenen Potenzials nur als Ausweichtherapie bei Patienten in fortgeschrittenem Lebensalter eingesetzt werden, wenn keine weiteren Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stehen. In der neueren Literatur wird darauf hingewiesen, dass der leukämogene Effekt von Busulfan als gering einzuschätzen ist und dass mit der Substanz neben der Kontrolle der Blutwerte ein guter Rückgang der Last an JAK2 V617F-Allelen erzielt werden kann [4142]. Auch die Gabe von Radiophosphor ist mit einem gesteigerten Leukämierisiko verbunden. Der Einsatz von Chlorambucil gilt wegen des vermehrten Auftretens von akuten Leukämien als obsolet.

Anagrelid (1 bis 2 mg/ Tag) ist ausschließlich auf die Reduktion der Thrombozytenproduktion ausgerichtet und ist deshalb als Monotherapie der PV ungeeignet. Das Medikament kann ggf. in der Kombination mit anderen Medikamenten (z.B. Hydroxyurea oder IFN-alpha) eingesetzt werden, falls mit diesen Substanzen alleine keine zufriedenstellende Reduktion der Thrombozytenzahl erzielt werden kann. Anagrelid führt in Kombination mit ASS zu einem erhöhten Blutungsrisiko [43].

6.2.4.3Milzbestrahlung und Splenektomie

Die Milzbestrahlung in niedrigen, fraktionierten Dosen und die Splenektomie (hohes Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko) sind Einzelfällen mit durch die Splenomegalie bedingten Problemen vorbehalten und betreffen ganz überwiegend Patienten mit Übergang in Myelofibrose. Sie sind nur unter sehr strenger Indikationsstellung durchzuführen [4445].

6.2.5Allogene Knochenmark- bzw. periphere Blutstammzelltransplantation

Eine kurative Therapie der PV ist nur durch eine allogene periphere Blutstammzell- oder Kmochenmarktransplantation möglich. Aufgrund der günstigen Prognose der PV ist sie nur in wenigen Einzelfällen indiziert. Die Indikation ist bei Kindern und Jugendlichen und bei jungen Erwachsenen, insbesondere bei komplikationsreichem Verlauf und nicht ausreichend kontrollierbarer Myeloproliferation zu prüfen.

6.3Besondere Situationen

6.3.1Prophylaxe von Rethrombosen

Bereits stattgehabte Thrombosen stellen einen Risikofaktor für Rethrombosen dar. Retrospektive Untersuchungen ergaben eine Reduktion der Rethromboserate im arteriellen und venösen System, wenn eine Dauerprophylaxe mit Vitamin K-Antagonisten durchgeführt wurde [46]. Zu oralen Faktor Xa- und Thrombin-Inhibitoren sowie niedermolekularem Heparin gibt es bislang keine Studiendaten bei Patienten mit MPN. Im individuellen Fall können diese Substanzen jedoch eine Alternative zu Vitamin K-Antagonisten darstellen.

6.3.2Spätkomplikationen (Post-PV-Myelofibrose, MDS/akute Leukämie)

Bei Post-PV-MF (Diagnosekriterien siehe Tabelle 3) wird die Indikation zur allogenen Transplantation in der Regel entsprechend den Empfehlungen für die primäre Myelofibrose gestellt (siehe Onkopedia Leitlinie PMF).

Bei Übergang in eine akute (zumeist myeloische) Leukämie sollte ebenfalls eine allogene Transplantation angestrebt werden. Da die Remissionsdauer nach Anthrazyklin- /Ara-C-basierter Chemotherapie alleine in der Regel nur kurz ist, empfiehlt sich eine solche Therapie dann, wenn anschließend eine Transplantation geplant ist. Neben der herkömmlichen Chemotherapie stellen demethlylierende Substanzen eine weniger toxische Therapieoption dar, die den Progress aufhalten und in einem begrenzten Prozentsatz komplette Remissionen induzieren können [47]. Insgesamt ist die Prognose der Patienten mit Transformation in eine Leukämie sehr schlecht.

6.3.3Operative Eingriffe

Besonders wichtig ist die gute Einstellung der Blutwerte (Hämatokrit und Thrombozytenzahl) vor operativen Eingriffen. Bei schlecht kontrollierten Blutwerten besteht ein erhöhtes Operationsrisiko. ASS sollte möglichst eine Woche vor dem geplanten Eingriff pausiert und perioperativ durch niedermolekulares Heparin ersetzt werden, wobei die individuellen Risiken einer Therapieunterbrechung von ASS berücksichtigt und interdisziplinär abgewogen werden sollten.

6.3.4Kinderwunsch und Schwangerschaft

Eine PV per se stellt keine Kontraindikation für eine Schwangerschaft dar. Es handelt sich aber immer um eine Risikoschwangerschaft, die, falls möglich, geplant werden sollte. Sie erfordert eine engmaschige interdisziplinäre Überwachung durch Geburtshelfer und Hämatologen. In Analogie zur ET ist mit einer erhöhten Rate an Früh- und Spätaborten zu rechnen und auch das Risiko für die Mutter ist erhöht. Eine Indikation zur Interruptio aus medizinischen Gründen ist nur in Ausnahmefällen gegeben.

Die Empfehlungen zur Therapie der PV während einer Schwangerschaft orientieren sich an Fallsammlungen. Sollte eine Zytoreduktion bei hohem Thromboserisiko während der Schwangerschaft erforderlich sein, bietet sich aufgrund der Teratogenität anderer Substanzen nur IFN an. Die Daten eines aktuellen Reviews weisen auf einen positiven Einfluss von IFN auf die Rate erfolgreicher Schwangerschaften hin. Bei 78 Schwangerschaften von Patientinnen mit ET oder PV betrug die Rate an Lebendgeburten unter IFN 94%. Die nur geringe Anzahl von eingeschlossenen Fällen, die mit pegyliertem IFN behandelt wurden, ergab zwar keinen Hinweis auf negative Effekte der Substanz, erlauben aber keine eindeutige Einschätzung der Sicherheit [48]. Bislang ist keine der verfügbaren Applikationsformen von IFN für die Behandlung von MPN zugelassen, was auch die Verabreichung in der Schwangerschaft betrifft (ggf. individuelle Beantragung der Kostenübernahme bei der Krankenkasse).

Während der Dauer der Schwangerschaft wird unabhängig von der Durchführung einer zytoreduktiven Therapie niedrig dosiertes ASS empfohlen. Bei vorausgegangenen arteriellen oder venösen Thrombosen empfiehlt sich ggf. die Kombination mit niedermolekularem Heparin. Peripartal sollte ASS durch Heparin ersetzt werden. z.B. ab der 34. Schwangerschaftswoche bis 6 Wochen postpartal [4950].

7Rehabilitation

Bei kompliziertem Verlauf der PV gelten die bei Tumorerkrankungen/ Leukämien üblichen Regeln für die Einleitung von Rehabilitationsverfahren.

8Verlaufskontrolle und Nachsorge

  • Klinische Untersuchung und Blutbild: Abstände abhängig von der Therapieform und der Therapiephase sowie dem individuellen Verlauf der Erkrankung. In der Initialphase der Therapie und bei Therapieumstellungen kurzfristig, nach Erreichen einer stabilen Phase in der Regel einmal monatlich. Gelegentlich ergeben sich lange aderlassfreie Phasen, in denen eine Verlängerung der Kontrollabstände möglich ist.

  • Mikroskopische Analyse des Blutbildes (peripherer Blutausstrich): durch Linksverschiebung, Nachweis von Erythoblasten und/oder Erythrozyten-Tränentropfenformen bzw. leukämischen Blasten lassen sich Hinweise auf Übergänge in eine Post-PV-MF bzw. MDS/Leukämie erkennen. Eine Bestätigung erfolgt durch die Knochenmarkpunktion. Verlaufsuntersuchungen der Knochenmarkhistologie sind nicht routinemäßig indiziert, sollten aber bei Zeichen der Krankheitsprogression (z.B. zunehmende Milzvergrößerung oder Blutbildveränderungen) zur Erfassung eines Übergangs in eine akute Leukämie oder Myelofibrose und möglichst auch bei Therapiewechsel durchgeführt werden.

  • Eine sonographische Kontrolle der Milz einmal pro Jahr stellt eine sinnvolle Ergänzung des Untersuchungsprogramms dar.

  • Ein quantitatives Verlaufsmonitoring von mutierten JAK2-Allelen wird derzeit nicht routinemäßig empfohlen.

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10Aktive Studien

Studie

Fragestellung

Kontakt

Information

Ruxo-BEAT

Machbarkeit, Sicherheit und Wirksamkeit von Ruxolitinib gegenüber bestverfügbarer Therapie bei Patienten mit Hochrisiko-PV (oder Hochrisiko-ET)

Prof. Dr. Steffen Koschmieder

E-Mail: skoschmieder@ukaachen.de

Telefon: 0241-8037929 /-800

NCT02577926

11Therapieprotokolle

12Studienergebnisse

13Zulassungsstatus

15Anschriften der Verfasser:

Prof. Dr. med. Gabriela M. Baerlocher
Universität Bern
Labor für Hämatopoiese und Molekulare Genetik
Murtenstrasse 40
CH-3008 Bern
Prof. Dr. med. Konstanze Döhner
Universitätsklinikum Ulm
Innere Medizin III
Albert-Einstein-Allee 23
89081 Ulm
Prof. Dr. med. Heinz Gisslinger
Medizinische Universität in Wien
Universitätsklinik f.Innere Medizin I
Klinische Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie
Währinger Gürtel 18-20
A-1090 Wien
Prof. Dr. med. Martin Grießhammer
Johannes Wesling Klinikum Minden
Klinik für Hämatologie / Onkologie
Hans-Nolte-Str. 1
32429 Minden
Univ.-Prof. Dr. med. Steffen Koschmieder
Uniklinik RWTH Aachen
Med. Klinik IV
Hämatologie, Onkologie, Hämostaseologie & SZT
Pauwelsstr. 30
52074 Aachen
Prof. Dr. med. Eva Lengfelder
Universitätsklinikum Mannheim
Medizinische Fakultät Mannheim d. Uni Heidelberg
III. Medizinische Klinik
Theodor-Kutzer-Ufer 1-3
68167 Mannheim
Prof. Dr. med. Petro E. Petrides
Hämatologisch-Onkologische Schwerpunktpraxis
am Isartor
Zweibrückenstr. 2
80331 München

16Erklärung zu möglichen Interessenskonflikten

nach den Regeln der tragenden Fachgesellschaften

 

Name

Anstellung

Beratung / Gutachten

Aktien/ Fonds

Patent / Urheberrecht/ Lizenz

Honorare

Finanzierung wissenschaftlicher Untersuchungen

Andere finanzielle Beziehungen

Andere mögliche COI1

Lengfelder

Universitätsklinikum Mannheim, Universität Heidelberg; Deutschland

Novartis,
TEVA

-

-

Novartis,
TEVA

-

-

-

Baerlocher

Universitätsspital Bern, Universität Bern; Schweiz

Novartis, BMS, Incyte, Pfizer

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Döhner

Universitätsklinikum Ulm; Deutschland

Novartis, Janssen, Celgene, Baxalta, Roche

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Novartis, Daiichi Sankyo, Celgene, AOP, Janssen

Novartis

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Gisslinger

Universität Wien; Österreich

AOP Orphan, Novartis, Pharmessentia, Shire

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AOP Orphan, Novartis, Pharmessentia, Shire

AOP Orphan, Novartis

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Koschmieder

Uniklinik RWTH Aachen; Deutschland

Bristol-Myers Squibb, Shire, CTI, Novartis, Incyte,
AOP Orphan Janssen, Roche, Baxalta, Sanofi, Pfizer

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Bristol-Myers Squibb, Shire, Novartis, Incyte,
AOP Orphan Pharma, Janssen, Amgen, Baxalta, Sanofi, Pfizer, Celgene

Bristol-Myers Squibb, Novartis, Janssen

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Petrides

AOP Orphan, Shire

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Grießhammer

Johannes Wesling Klinikum Minden, Ruhr-Universität Bochum; Deutschland

Novartis, Shire, AOP Orphan, Janssen, Roche, Amgen

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Novartis, Shire, AOP Orphan, Janssen, Roche, Amgen

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Reference:

Quellenangabe:

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